„Digitalfeindlichkeit in Deutschland“

13 Kopien, 70.000 Seiten, 80 Ordner quer durch die Republik

29. August 2022, 11:35 Uhr | Martin Fryba
Antrag der 3U Holding zum Bau von fünf neuen Windenergieanlagen: Über 70.000 Seiten Papier in fast 80 Aktenordnern mussten durch Deutschland gefahren werden. „Allen Initiativen zum Bürokratieabbau drücken wir die Daumen“, so 3U.
© 3U Holding

Wer Windparks baut, wird von deutschen Behörden wie ein Betreiber eines Atomkraftwerks behandelt. Und man muss viel drucken, sehr viel drucken. Bitkom-Präsident Achim Berg kann es nicht fassen und ringt um Fassung.

Man könnte Andreas Odenbreit, Vorstand der 3U Holding AG, sowie Petra Samson und Rainer Goebel, beide Geschäftsführer der 3U Energy PE GmbH, zu Märtyrern ausrufen, so gequält haben Behörden die drei Manager, die trotz aller Spießruten genau das umsetzt haben, was die Bundesregierung gebetsmühlenhaft predigt: Die Energiewende. Bevor ihre Windräder gebaut werden können und regenerativen Strom liefern, hatten sie einen Triathlon in Sachen Bürokratie zu bewältigen: „Geschafft! Der Antrag zum Bau von fünf neuen Windenergieanlagen ist unterschrieben, 13-mal kopiert und per Transporter in den Burgenwaldkreis zu dessen verantwortlichen Dienststellen gebracht!“, postet die 3U Holding auf Linkedin.

Über 100.000 Megawattstunden Strom pro Jahr sollen die Windräder generieren und damit 36.000 Haushalte ganzjährig versorgen. Man bräuchte freilich viel mehr solcher Initiativen, um die Bundesrepublik nahezu vollständig mit grünem Strom zu versorgen. Teils stehen Proteste von Bürgern sowie Umwelt- und Tierschutzorganisationen dem Umbau der Energieversorgung im Wege. Teils sind es Behörden, die freilich ihre Vorschriften haben und sich wenig flexibel zeigen im Genehmigungsverfahren. Schlimm ist zudem, dass der Schriftverkehr und das umfangreiche Antragswesen nicht digitalisiert sind.

So sind von 3U eben 13 Kopien des gesamten Schriftsatzes zu erstellen, mehr als 70.000 Seiten in fast 80 Ordnern, die in einen Kleintransporter zu packen sind und quer durch die Republik gefahren werden müssen. Das unerschütterliche Festhalten deutscher Behörden an der analogen Schriftkultur mag Druckerhersteller erfreuen. Die IT-Branche freilich schüttelt nur noch den Kopf über solche und ähnliche Fälle. „Ich fass es wirklich nicht mehr. Die Begründung für diesen Irrsinn würde ich gerne von den Behörden hören - es ist wirklich nicht mehr lustig, welch Blüten unsere Digitalfeindlichkeit in Deutschland treibt“, kommentiert Bitkom-Präsident Achim Berg.

Weitere Blüten der Digitalfeindlichkeit
Dass Windparkbetreiber im Genehmigungsverfahren auf eine Stufe mit Atomkraftwerken gestellt würden, wie viele Bürgerenergie-Initiativen kritisieren, darauf haben die IT-Branche und ihr Lobby-Verband Bitkom keinen Einfluss. Behördenprozesse zu digitalisieren, konsistent im Sinne einer echten Digitalisierung  - wohlgemerkt, diese Kompetenz könnten sich Behörden ins Haus holen, wenn sie denn wirklich wollten. Doch wie sieht der „Irrsinn“, von dem Berg spricht, aus?

Kindergeldantrag der Familienkasse: Mehrere Seiten Antragspapier flattern ins Haus mit dem ermutigenden Hinweis, man könne den Antrag auch online ausfüllen unter einer eigens für den Antragsteller generierten URL. Prima, denkt man zunächst. Füllt online die Antragsfelder aus, schickt das ganze ab und – welch eine Überraschung: am Ende wird ein PDF-Download angeboten mit dem Hinweis, den ausgefüllten Antrag auszudrucken und per Post an den Absender zu senden. Dort werden die einmal bereits am PC erfassten Daten ein  weiteres Mal erhoben und wer weiß wie oft noch durch diverse Mühlen der Bürokratie gedreht.

Großes Outsourcing an uns Bürger
Neuste Blüte der Digitalfeindlichkeit: Für die Neuberechung der Grundsteuer sind Millionen Immobilienbesitzer hierzulande aufgefordert, dem Finanzamt Daten zu übermitteln. Der Bürger muss sammeln und zusammenstellen, was in jeder der beteiligten Behörden bereits vorliegt, aber eben nicht untereinander vernetzt ist: Flurnummern im Grundbuchamt, Daten zur Größe der Immobilie im Bauamt, Bodenrichtwerte in der Länder-Datenbank „Boris“. Jahre lang lässt sich der Staat Zeit, die Anträge für die Grundsteuer zu formulieren, und erst in drei Jahren, 2025, soll die neue Grundsteuer erhoben werden. Aber der Bürger wird unter Zeitdruck gesetzt und soll binnen weniger Monate den Antrag bei seinem Finanzamt einreichen, während das Portal Elster dieser Behörde unter der Last der plötzlichen Zugriffe einbricht.

Warum auch sollen eigentlich die Behörden digitalisieren, wenn doch die Bürger alle Daten beschaffen können? Die Grundsteuerreform sei in diesem Sinne ein großes Outsourcing, kommentiert DIE ZEIT (Nr. 35, S.24): „Die Bürger sollen nun die Folgen der jahrelangen Nichtdigitalisierung der Verwaltung ausbügeln“.


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