Fliegender Gerichtsstand

Ein Urteil für mehr Abmahnwahnsinn im Internet

19. Juli 2012, 13:18 Uhr | Martin Fryba
Übersetzungshilfen Anwalt-Deutsch braucht man nicht, weil es raffinierte Abmahnanwälte erst gar nicht zur Verhandlung kommen lassen (Foto: obs/Langenscheidt)

Ein vermeintlicher Urheberrechtsverletzer sitzt in Freiburg und müsste sich in Flensburg gegen die Abmahnung eines Anwalts zur Wehr setzen. Statt zu klagen und zu reisen, zahlt der Abgemahnte lieber. Der Unsinn des fliegenden Gerichtsstands ist immer noch nicht abgeschafft.

Ein Grundübel des deutschen Rechtswesens wollte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eigentlich schon vor einigen Jahren abschaffen. Doch der so genannte fliegende Gerichtsstand ist nach wie vor Realität und eröffnet gerade bei vermeintlichen Rechtsverstößen im Internet dem Missbrauch Tür und Tor. Raffinierte Anwälte, die sich als zivile Wettbewerbshüter und Vertreter von (Urheber)-Recht und Ordnung gerieren, wählen bei Abmahnungen gezielt einen Gerichtsstand aus, der weit weg vom Wohnort eines Abgemahnten ist. Die Strategie dahinter ist klar: Kosten, Zeit und das Risiko einer Niederlag muss ein wegen Filesharing abgemahnter Internetnutzer in Freiburg gegen eine Klage in Flensburg abwägen. Der Südbadenser zahlt lieber ein paar hundert Euro Anwaltskosten als in den höchsten Norden vor Gericht ziehen, zumal er mit Friesen genauso viel anfangen kann wie ein Amazonas-Indianer mit einem Finanzoptimierer.

Auf letzteres Gewebe ist der raffinierte Anwalt - in eigener Sache - spezialisiert. Eine Säule seines erfolgreichen Abmahn-Business ist der fliegende Gerichtsstand und das Landgericht Frankfurt am Main. Am Mittwoch haben die dortigen Richter in einem Berufungsverfahren um Kosten einer urheberrechtlichen Abmahnung im Zuge der Nutzung einer Internettauschbörse (P2P-Netztwerk) eine Entscheidung ihrer Kollegen am Amtsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 26. Januar 2012, Az.: 31 C 2528/11) aufgehoben. Das Amtsgericht hatte sich zunächst für nicht zuständig erklärt und dies damit begründet, dass das urheberrechtlich geschützte Werk nicht in Frankfurt in das P2P-Netzwerk unerlaubt eingestellt worden sei.

Völlig unerheblich, so die Richter der höheren Instanz. Der Abgemahnte habe schließlich keine lokale Verbreitung der Werke beabsichtigt, sondern die Werke bundesweit Dritten zur Verfügung stellt. Dadurch kann nach Ansicht des Landgerichts jedes Gericht in Deutschland angerufen werden.

Rechtlich spektakulär ist die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main nicht, sagt Rolf Albrecht, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Informationstechnologierecht der Kanzlei Volke2.0. Doch der Jurist rechnet damit, dass diese Zustimmung zum fliegenden Gerichtsstand die Zahl der Abmahnungen wieder in die Höhe treiben könnte.


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