Krise des Einzelhandels

Euphorie trifft auf Depression

4. Mai 2021, 12:27 Uhr | Martin Fryba
© AdobeStock/Photospirit

Im Einzelhandel wird nach der Pandemie nichts so sein wie vor der Corona-Krise: ausgedünnte Filialnetze, leer stehende Shopping-Center, noch mehr Online-Handel. Eine verunsicherte Branche im Wartemodus.

Ein Jahr nach Pandemie-Ausbruch wird klar, dass Geschäftsöffnungen zwischen den langen Lockdown-Phasen dem stationären Einzelhandel in Deutschland kaum Luft zum Atmen gebracht haben. Auch wenn es im März mit einem Umsatzpuls von zwölf Prozent gegenüber 2020 wieder deutlich nach oben ging, geben die Zahlen »keinen Anlass zu übersteigertem Optimismus«, stellt der Einzelhandelsverband EHI, zugleich auch Mitglied des Rates der Immobilienweisen des ZIA, das Frühjahrsgutachten des Zentralen Immobilien Ausschusses vor. Die Zahlen seien kaum vergleichbar. Ohnehin wird jetzt erst unter dem Eindruck der Pandemie-Krise schmerzlich klar, dass der schon vorher zu beobachtende Strukturwandel des Einzelhandels nun erst recht in Verlierer und Gewinner der Krise scheidet.

Gewinner ist, wenig verwunderlich, wer auf Online-Handel setzte und setzt. Reine Etailer wie Amazon gehören dazu. Ebenso Baumärkte, Händler von Unterhaltungselektronik, Möbel oder Lebensmittel. Das Online-Geschäft der stationären Händler sei stark gewachsen, »zum Teil mit dreistelligen Zuwachsraten«, so der EHI. Das Online-Wachstum des traditionell stationären Handels von 24,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr dürfte »deutlich unterschätzt« ausfallen. Denn das Statistische Bundesamt schlage ihre Online-Umsätze nicht dem Versandhandel zu.

Zudem muss man genau hinschauen: Einige Branchen wie der gesamte Modehandel und die Warenhäuser hätten laut EHI letzten Jahr erhebliche Umsatzrückgänge in Kauf nehmen müssen. Ein Viertel weniger Umsatz im Schuh- und Modehandel, fast 14 Prozent Rückgang bei Warenhäusern. Fazit: »Rechnet man diese Effekte hinaus, dürfte der stationäre Einzelhandel trotz guter Ergebnisse bei Lebensmitteln, Tiernahrung und Drogerien gegenüber 2019 nicht gewachsen sein«, teilt der Verband mit.

Im Januar 2021 sei der Einzelhandelsumsatz gegenüber dem Vorjahresmonat um sieben  Prozent zurückgegangen, im Februar um fünf Prozent. Die »dramatischen Umsatzausfälle« gefährden laut EHI nun auch »gesunde Unternehmen des Einzelhandels in ihrer Existenz«, während der Lebensmittelhandel in seinen Standorten zur Nahversorgung weiterhin floriere.

Innenstädte vor Umbruch
Schon jetzt führe diese Entwicklung zu erheblichen Leerständen in Städten und Shopping-Centern. »Einerseits, weil Unternehmen wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig sind und andererseits, weil größere Filialisten ihre Netze massiv bereinigen«, beobachtet der EHI.

Vor allem auch die Immobilienbranche muss unter diesem Eindruck ihre Investitionsstrategie überdenken. EHI-Geschäftsführer Michael Gerling sieht Handelsimmobilien für die Nahversorgung weiter »äußerst stabil und gefragt«. Aber: »Innenstadtlagen, Shopping-Center und andere Hochfrequenzstandorte stecken in einer tiefen Krise«.

Staat muss helfen
Die Politik müsse ihr Augenmerk nun »vor allem auf die Förderung der Innenstädte legen«, mahnt Gerling. Er sorgt sich um die Attraktivität der Städte und fordert daher »massive Unterstützungsmaßnahmen«. Vermieter müssten sich auf sinkende Mieten einstellen. »Ob Wohnen, Büro oder Gastronomie, niemand kann Mieten in der Höhe zahlen, wie sie bisher vom Einzelhandel bezahlt worden sind«.

In der Krise sieht der Verbandschef indes auch Chancen: »Es können sich neue Mieter ansiedeln und heutige Einheits-Cities können durch eine größere Bandbreite von Einzelhandelsbetrieben und anderen Mietern vielfältiger werden«. Schon heute sei zu beobachten, »dass Lebensmittelbetriebe und Drogerien wieder den Standort Innenstadt für sich entdeckt haben«. Zunehmend würden die Innenstadtstandorte auch für Unternehmen interessant, die bisher ausschließlich als Online-Anbieter aktiv waren, merkt Gerling an.

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