Dramatische Lage im Einzelhandel

»Für unser geliebtes Speyer«

22. Februar 2021, 10:18 Uhr | Martin Fryba
Ein Wunder bräuchte der Einzelhandel in Speyer gar nicht, wenn die Politik versprochene Hilfen jetzt endlich auch leisten und eine Öffnungsperspektive aufzeigen würde
© BÖ Media

Monatelang keine Umsätze, die Reserven aufgebraucht: In Speyer - wie in vielen anderen Städten auch - ist es fünf nach zwölf. Verzweifelte Händler hoffen auf Perspektiven, auf Novemberhilfen im März und darauf, dass ihr aufrüttelndes Video kein Requiem sein wird.

Domdekan Christoph Kohl steht im leeren Kirchenschiff, sagt, dass es nun dramatisch werde. »Es stehen berufliche Existenzen auf dem Spiel«. Man kann davon ausgehen, dass ihm verzweifelte Menschen auch von ihren existenziellen Nöten berichten. Zumindest die dürfte es gar nicht geben. Hat der Bundesfinanzminister nicht von einer »Bazooka« gesprochen, die großzügig Hilfe für Unternehmer, Künstler oder Soloselbständige verspricht, die ohne eigenes Verschulden im Lockdown sitzen? Es seien doch nicht mehr als »Platzpatronen«, wendet sich der Geschäftsinhaber Stefan Walch (Feischboutique) im Video des Speyer Einzelhandels an Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Ende Februar wartet er: Auf November- und Dezemberhilfen, auf Licht am Ende des Tunnels, auf eine Öffnungsperspektive.


Manche Einzelhändler hätten den Kampf schon verloren, beklagt Peter Bödeker, Vorstand des Vereins »Das Herz Speyers« und Inhaber eines Modegeschäfts. Gut vorsorgende Kaufleute, wie sie nun mal in Speyer und anderswo die Innenstädte gegen einen lokalbezugs- und seelenlosen E-Commerce geschäftig und attraktiv halten, haben Reserven gebildet.

Doch die sind nun nach rund vier Monaten Lockdown in der zweiten Corona-Welle aufgebraucht. Die Fixkosten laufen weiter, bei so gut wie keinem Umsatz. Doppelt  bitter: Einen Teil ihrer Rücklagen haben Unternehmer in Speyer in Hygienemaßnahmen investiert. Friseur Willi Reichardt hat Trennwände aufgestellt, Luftreinigungsgeräte gekauft und Mitarbeiter in puncto Hygieneschutz schulen lassen. »Es hat nichts genützt«. Man braucht kein Kaufmann sein, um das Ende vorherzusagen, wenn die Politik kein Ende des Stillstands zumindest perspektivisch in Aussicht stellt. Dann können sie das Fragezeichen im Intro dieses Videos löschen: »Game over?«.


Rettung über Nacht - geht doch!
Dass die Bürokratie in der Lage ist, einen Reisekonzern oder eine Fluggesellschaft zu stützen, die Politik in der Finanzkrise ausgezeichnet bewiesen hatte, Banken quasi über Nacht retten zu können, aber in der jetzigen Lager nicht fähig sein soll, schnell und unkompliziert inhabergeführte Einzelhändler finanziell das Überleben zu ermöglichen, ist unverständlich, unerträglich. In Speyer, 50.000 Einwohner, ist der Einzelhandel ein wichtiger Arbeitsgeber. In Sonntagsreden ist viel vom Mittelstand die Rede, von diesem Rückgrat der Volkswirtschaft, dem gerade dieses Rückgrat gebrochen wird. Es sei nicht fünf vor, »sondern leider fünf nach zwölf«, sagt Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler. »Die finanziellen Mittel müssen jetzt schnellstmöglich bei den Unternehmen ankommen«.


Noch hat Dino Bordonaro aus Speyer Hoffnung. Die Corona-Krise geht an seinem IT-Systemhaus zwar vorbei, wie freilich an vielen Unternehmen aus dieser IT-Branche. Was aus seinem Speyer wird, lässt Bordonaro indes nicht kalt. »Es gibt so viele Branchen, wie in dem Video gezeigt, die den stillen Tod sterben«. Diese Menschen, Mitarbeiter und deren Familien, »haben das alle nicht verdient«. Aufrütteln soll das am vergangenen Wochenende auf Youtube veröffentlichte Video und ein Stück weit Hoffnung machen.


Wenn es eng wird, wenn der Feind vor den Stadttoren steht, dann sind Bürger aller Städte schon immer zusammengerückt. »Gemeinsam stark«, heißt es im Abspann des Videos Speyrer Kaufleute, »für unser geliebtes Speyer«. Wenn nicht schnell etwas passiert, sind das leider sehr treffende Schlussworte eines Requiems.

 

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