Suchmaschinen

Internet-Hoax macht Tucholsky zum Börsenguru

23. Februar 2009, 17:03 Uhr | Lars Bube
Etliche Web-Sites sind dem Tucholsky-Hoax aufgesessen.

Ein Gedicht von Kurt Tucholsky über den Börsencrash macht derzeit im Internet die Runde und sorgt für einiges Erstaunen. Selbst seriöse Zeitungen wie die »Zeit« und auch Lehrer fallen darauf herein. Dabei würde ein wenig kritische Recherche reichen, um das Werk als Fälschung zu enttarnen.

Schwer dem richtigen Autor zuzuordnen: Oben das angebliche, unten das originale Werk von Kurt Tucholsky.
Schwer dem richtigen Autor zuzuordnen: Oben das angebliche, unten das originale Werk von Kurt Tucholsky.

»Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen, aber manche blühen auf: Ihr Rezept heißt Leerverkauf.« So beginnt ein Gedicht, das derzeit in Deutschland die Runde macht und für einige Verwunderung sorgt.

Darin macht sich der Autor über Banken und Broker lustig, etwa folgendermaßen: »Keck verhökern diese Knaben Dinge, die sie gar nicht haben«. Und auch die Bankenrettungs-Pakete der Regierungen finden ihre Erwähnung in Zeilen wie »Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat«.

Angeblich stammen diese prophetischen Zeilen von Kurt Tucholsky und wurden schon ein Jahr nach dem Börsencrash von 1929 in der Zeitschrift »Weltbühne« veröffentlicht.

Hoax lässt sich mithilfe von Google und Yahoo enttarnen

Als E-Mail und in Foren oder Blogs macht nun das angebliche Tucholsky-Gedicht die Runde. Tatsächlich jedoch kann man aus der Geschichte um das Gedicht eher etwas über den richtigen Umgang mit dem Internet und Suchmaschinen lernen als über Tucholsky.

Denn wer auf Google und Co. nur die Suchbegriffe »Tucholsky, Börsenkurse« eingibt, der findet wirklich einige hunderte Seiten, die den Hoax bestätigen. Wer jedoch an Tucholskys Wissen um Derivate (in der heutigen Form erst seit den späten 70er Jahren auf dem Markt) oder Leerverkäufe Zweifel hegt und deshalb bei der Suche noch den Zusatz »Fälschung« eingibt, wird schnell eines Besseren belehrt. Denn das Gedicht stammt weder von Tucholsky noch wurde es im Gefolge der Weltwirtschaftkrise Ende der 20er Jahre fabriziert.

Mit einer etwas genaueren Recherche lässt sich sogar nachvollziehen, wie der Weg des Gedichtes im Internet bis zu seiner heutigen Form und der Zuschreibung an Tucholsky verlief: Offenbar wurde das Gedicht zuerst von Oli Klemm am 10. Oktober vergangenen Jahres auf brokerz.com veröffentlicht, einem Portal für Profi-Broker.

Wenige Tage später tauchte das Werk dann auch auf der Seite Weltrandbewohner auf, wo es über dem wirklich von Tucholsky verfassten Gedicht »Die Weltwirtschaft« steht. Wer den – zugegeben etwas verwirrend angeordneten - Text komplett liest, kann dies auch erkennen (siehe Bild).

Suchmaschinen richtig einsetzen

Dennoch verwechselten einige Personen die Autorenschaft und ordneten das Werk Tucholsky zu. So startete der Schriftsteller ein Comeback im Internet: Er landete in diversen Rund-E-Mails und schaffte es sogar auf die Online-Kommentarseiten der Zeit.

Auch wenn dieser Fall vielerorts die alten Vorurteile vom »verdummenden« Internet heraufbeschwört, so zeigt er doch eher, dass jede Suchmaschine nur so gut sein kann wie deren Benutzer. Denn selbst wenn eine Information tausendfach im Internet zu finden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass sie wahr ist.

Meist würde es völlig ausreichen, die richtigen (kritischen) Fragen zu stellen und sich ergänzend dazu auch ein wenig mit der Funktionsweise von Suchmaschinen auseinandersetzen, und schon könnten solche Fehler vermieden werden.


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