Wegweisendes BGH-Urteil

Parshippen für 1,46 Euro

18. Juni 2021, 11:12 Uhr | Martin Fryba
© AdobeStock/Bernd Rehorst

Der Streitwert an sich ist schon eine Zumutung für ein oberstes Zivilgericht, die von der Beklagten zu zahlende Summe geradezu lächerlich. Eine Frau will nicht mehr parshippen und beruft sich auf das über 100 Jahre alte BGB.

Liebe vergeht, Hektar besteht. Bei jedem Stadlfest in Bayern wird dieses Lied heute noch fleißig mitgegrölt. Heiratsvermittler im 19. Jahrhundert wussten schon immer um den wahren Wert dieser Bauernweisheit. Viehhändler haben auf Märkten schließlich nicht nur beste Preise für starke Bullen erzielt. Als Hochzeitslader kannten sie gute Partien  und konnten Fragen wie diese immer fachkundig beantworten: „Wie viel moanst, dass an Mosbauern sei Cenz mitkriagt?“ (Ludwig Thomas Stück „Der Heiratsvermittler“). Es winkten ordentliche Handgelder, aber auch Zuchthaus, wenn unzüchtigte Kuppelei im Spiel war. Besiegelt wurde das Vermittlungsgeschäft im Wirtshaus - ob vor oder nach dem Rausch war unbedeutend in einer Zeit, wo noch Ehre und der Handschlag galten. Beides spielt heute vor Gericht keine Rolle mehr.

Mit einer kleine Reminiszenz an diese untergegangene Zeit, die manche heute noch die gute alte nennen, machte vergangenen Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe von sich reden. Verhandelt wurde höchstrichterlich der Fall einer Frau, die beim Online-Partnervermittler Parship eine zwölfmonatige Premium-Mitgliedschaft für 265,68 Euro abgeschlossen hatte und schon erste Vorschläge und Zugang zur Plattform bekam. Tags darauf widerrief sie den Vertrag und weigerte sich, die von Parship geforderten anteiligen 200 Euro zu zahlen. Ihre Begründung: Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) steht, dass ein versprochener Lohn für Heiratsvermittlung nicht einklagbar sei.

Richter hatte diese Vorschrift auf Partnervermittlungsverträge bisher stets übertragen, weil eine solche Vergütung die Intimsphäre der Kunden beinträchtige. Darauf berief sich die Frau – zu Unrecht, wie sie zunächst verdutzt feststellen musste.

Neue Sicht: Kein Eingriff in Intimsphäre
Der BGH hatte abweichend von der bisherigen Sicht entschieden, dass der BGB-Paragraf nicht auf Online-Vermittler wie Parship zutreffe. Denn hier bekämen die Kunden in erster Linie unbeschränkten Zugang zu einer Plattform, wo sie „aus eigener Initiative einen Kontakt zu möglichen Partnern herstellen“ könnten. Partnervorschläge beruhten auf elektronischem Abgleich, eine individuelle, persönliche Auswertung finde nicht statt. Deshalb sei ein Eingriff in die Intimsphäre hier nicht zu befürchten (Az. III ZR 125/19).

Nutzer, die für eine einmal abgeschlossene kostenpflichtige Mitgliedschaft nicht zahlen wollen, müssen künftig damit rechnen, auch mit juristischen Mitteln zur Kasse gebeten zu werden. Pech gehabt also? Rechtlich schon, finanziell indes nicht.  

200 Euro muss die Frau nicht zahlen. Der BGH entschied zwar auf Wertersatz für Parship, allerdings nur in Höhe von einem Tag der 365-Tage umfassenden Jahresmitgliedschaft, also 1,46 Euro. Ob die Frau neben Liebe auch viel Hektar in eine potenzielle Ehe würde einbringen können, damit musste sich das höchste Zivilgericht Deutschlands nicht auch noch befassen.

(Mit Material von dpa)

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