Werbung mit „klimaneutral“

Täuschen und Tricksen

22. September 2021, 13:27 Uhr | Martin Fryba
© AdobeStock/Fokussiert

Der Weg zur Klimaneutralität soll lange und holprig sein? Es gibt doch eine bequeme Abkürzung. Und die heißt Zertifikatehandel. Der macht sogar Premium-Heizöl klimaneutral.

Hätte Markus Lanz gestern Abend in seinem TV-Talk drei Derwische tanzen lassen, hätte man als Zuschauer wenigstens gewusst, warum man wegen einsetzendem Schwindel vom Fernsehsessel gekippt ist. So aber folgte der geneigte Zuschauer der Umweltaktivistin Luisa Neubauer und FDP-Generalsekretär Volker Wissing, die sich bei Thema Klimakrise jeweils so um ihre eigene Achse drehten, dass man befürchten musste, sie würden im ZDF-Studioboden versinken und müssten samt Bohrkern am anderen Ende der Erde geborgen werden. Wie da rauskommen aus der Klima- und Kommunikationskrise?

Moderator Lanz wollte die Havarierten nicht hochziehen, sie selbst konnten kein höheres Niveau erklimmen. Zu vernagelt waren die Fronten. FDP-Mann Wissing will die Klimakrise marktwirtschaftlich durch den CO2-Zertifikatehandel bekämpfen und beruft sich auf wissenschaftliche Studien. Umweltaktivistin Neubauer schüttelt nur den Kopf und beruft sich auf – genau:  wissenschaftliche Studien. Das geht geschlagene 20 Minuten so. Lanz, dem man eine gewisse Bissigkeit nachsagt, machte gegen 24 Uhr schon den Schlafes Bruder und ließ die argument- und thesenfreien Diskutanten gewähren.

„Klimaneutrales Premium-Heizöl“!?
Wie leicht hätte man doch den Zertifikatehandel als marketingtechnisches Greenwaching entlarven können. Wo doch Aldi auf Unterlassung verklagt wurde, weil man sich eben nicht „Erster klimaneutraler Lebensmittelhändler“ nennen dürfe, wie die Wettbewerbszentrale vor wenigen Monaten beanstandete. Nur weil man CO2-Zertifikate in circa der Höhe des eigenen Ausstoßes kauft, sonst aber wenig zur Vermeidung oder Senkung beiträgt, dürfe man nicht damit werben, klimaneutral zu sein. Das wäre eine Täuschung des Verbrauchers, meint die Wettbewerbszentrale.

Hätte Lanz und seine Redaktion die entsprechenden Berichte über die Abmahnungen der Verbraucherschützer gekannt, er hätte den Werbespruch eines weiteren beklagten Unternehmens so ins Feld führen können, dass jedem die Grenzen und der bisweilen nur rechnerisch auf dem Papier funktionierende CO2-Zertifikatehandel deutlich vor Augen geführt worden wäre: „Klimaneutrales Premium-Heizöl“!?

Auch Neubauer wusste keine Argumente gegen Wissing, warum Kompensation, sprich Ablass, nicht der einzige Weg sein kann, um Unternehmen in die Klimaneutralität zu führen. Und schon gar nicht dafür werben, wenn man nicht viele eigene Anstrengungen zur Vermeidung und Senkung von CO2 unternommen hat und im besten Fall regionale Klimaschutzprojekte (sofern vorhanden) unterstützt und nicht unbedingt Initiativen in Entwicklungsländern, die  Zweifel wecken könnten.

Fazit: Informierte und vor allem auch auf Nachhaltigkeit Wert legende Bürger lassen sich nicht düpieren. Sie wollen schon sehr genau wissen, wie klimaneutrale Wirtschaft funktioniert. An einen Deus-ex-Machina, der da Markt für Verschmutzungsrechte heißt und über Nacht aus Sündern Klimavorreiter macht, glauben sie nicht. Der Weg zur Nachhaltigkeit erfolgt vielmehr in vielen Schritten, die man vor allem selbst gehen muss.

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