Standpunkt: »Green IT«

Umweltschutz gegen Geld

6. November 2008, 16:10 Uhr | Andreas Stolzenberger

Kein Thema hat jemals so viel Staub aufgewirbelt wie das »Umweltfreundliche Rechenzentrum«. Jeder Hersteller propagiert mehr oder weniger sinnvolle Einzellösungen, doch ganzheitliche Konzepte fehlen oder sind gar nicht gewünscht.

Was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Grundgedanken »Green-IT«? Im Prinzip geht es darum, EDV-Lösungen umweltfreundlich zu gestalten. Das ist schnell gesagt oder in Form eines leeren Slogans auf biologisch nicht abbaubare PVC-Aufkleber gedruckt. Dahinter steht jedoch ein enormer Aufwand.

Richtig »grüne« Lösungen produzieren deren Hersteller

(a) umweltschonend, also mit sauberen Materialien und in abfall- und energiearmen Fertigungsprozessen.

(b) Die Geräte arbeiten dann während einer möglichst langen Betriebsdauer ohne Ausstoß von Schadstoffen und

(c) verbrauchen dabei möglichst wenig Strom.

(d) Am Ende der Lebensdauer nehmen die Hersteller ihre Altgeräte zurück und recyclen sie umweltfreundlich – soweit die Theorie.

In der Praxis sieht das anders aus. Umweltschonende (a) Materialien und Fertigungsprozesse kosten viel Geld. Die Kunden sind nach wie vor nicht bereit, für eine umweltverträgliche Lösung mehr auszugeben.

Daher lagern die Hersteller die Fertigung lieber nach China oder in Dritte-Welt-Länder aus. Dort arbeitet das Personal weit unterhalb von Mindestlohngrenzen, die in anderen Regionen Standard sind. Lohnnebenkosten wie Kranken- und Sozialversicherung müssen die Unternehmen dort auch nicht zu zahlen.

Die Fertigungsstätten liegen außerhalb der Kontrolle irgendwelcher US- oder EU-Einrichtungen, so dass die Industrie in aller Ruhe mit billigen, umweltschädlichen Prozessen und Stoffen ans Werk gehen kann.

Mehr verkaufte Geräte = mehr Umsatz

IT-Hersteller interessieren sich zudem nicht für Geräte mit einer (b) möglichst langen Lebensdauer. So etwas schadet nur dem Umsatz. Also lassen sich die Konzerne spätestens alle zwei Jahre irgendeine neue, meist weitgehend nutzlose Technologie einfallen.

Dann schwärmt ein Heer von Marketingspezialisten aus und redet den Kunden ein, dass sie ohne neu zu kaufende Systeme nicht mehr konkurrenzfähig seien. In der Tat ist es leider so, dass Unternehmen jeder Größe heute noch in vielen Bereichen sehr gut mit fünf bis acht Jahre alter Basis-Technologie auskämen, ließe sich diese an einigen Schlüsselstellen modernisieren.

Doch die IT-Industrie kümmert sich stets darum, moderne Lösungen inkompatibel zu älteren Lösungen zu gestalten, um den Anwender zu Neuanschaffungen zu zwingen.

Höhere Leistung statt niedrigerem Energiebedarf

Die Sache mit dem geringen (c) Stromverbrauch ist zumindest ansatzweise bei den Herstellern angekommen. Doch nach wie vor zählen in der Hardwarebranche übertrieben hohe Leistungswerte mehr als der Energieverbrauch.

Auch hier leisten die Marketingkräfte gute Arbeit, um den Endanwendern die Notwendigkeit von Mehrkern-CPUs und Grafikkarten mit exorbitanter 3D-Rechenleistung an simplen Arbeitsplätzen einzureden.

Die Chip-Hersteller verwenden ihr Know-how dazu, um neuen Prozessorgenerationen bei gleicher Stromaufnahme mehr Leistung einzuprügeln. Aus Umweltsicht sollten die Firmen jedoch ihr Wissen dazu nutzen, um Chips mit der bereits verfügbaren und völlig ausreichenden Geschwindigkeit zu bauen, die einen Bruchteil an Energie verschwenden.

Innovation am falschen Ende

Die einschlägigen Softwarehersteller tun ihr Übriges dazu, um mit möglichst viel Rechenleistung möglichst wenig sinnvolle Arbeit zu erledigen. Zudem verketten sie Applikationen mit Betriebssystemen und diese wiederum mit CPU-Architekturen und Chipsätzen – und zwingen den Anwender somit immer wieder zu nutzlosen Upgrades.

Ehrliche Administratoren müssen zugeben, dass die Mehrzahl deutscher Büroarbeitsplätze auch 2008 mit Hard- und Software aus dem Jahr 2000 zurechtkäme.

Mit den heutigen Technologien sollte es eigentlich möglich sein, einen Arbeitsplatzrechner auf dem Leistungsniveau von 2002 mit einem Stromverbrauch von 10 Watt zu bauen.


Braucht nur 20 Watt Strom: Ein Mini-ITX-Board von Via mit 1-GHz-Prozessor.

Es gibt vereinzelt Lösungen, die in diese Richtung tendieren. Dazu gehört beispielsweise die Mini-ITX-Plattform von VIA, deren Verbrauch bei etwa 20 Watt liegt. Mini-ITX beschreibt ein ultrakompaktes Motherboard mit allen nötigen Schnittstellen und einer passiv gekühlten CPU im Geschwindigkeitsbereich von etwa 1 GHz.

Recycling kostet (zu viel) Geld

Auch das (d) Recyclen alter Geräte ist prinzipiell nicht im Interesse der IT-Hersteller. Dazu müsste das Unternehmen Geld für längst abgeschriebene Geräte in die Hand nehmen. Während die Firmen im Ausland fertigen können, wie sie möchten, müssen sie die Altgeräte nach geltendem EU- oder US-Gesetzt zurücknehmen.

Der Zwang hat unterm Strich noch etwas Gutes: Zur Not lassen sich EU-Fördergelder für das Recycling von in der dritten Welt billig produziertem Schrott kassieren.

Nach Abzug aller möglichen, aber vom Hersteller nicht gewünschten oder zu teuren Umweltschutzmaßnahmen bleibt nicht mehr viel echte Green-IT übrig. Das spiegelt sich auch in den Posteingangskörben der IT-Journalisten wider.

Uraltlösungen werden plötzlich »Green«

Fünf Jahre alte Video-Conferencing-Lösungen werden plötzlich als Green-IT propagiert mit der Begründung: Wer Videokonferenzen einsetzt, reist weniger mit dem Auto oder Flugzeug herum.

Das Praktische für den Hersteller: Er muss selbst gar nichts Umweltschonendes tun und kann sich selbst als Retter der Natur auf die Schulter klopfen – mit Geräten Made in China, versteht sich.

Andere Produzenten propagieren den »0-Watt-Monitor« – ein Gerät, das im ausgeschalteten Zustand keinen Strom verbraucht – als Green-IT-Lösung. Jahrelang haben die Hersteller die Anwender aus Kostengründen mit Standby-Schaltungen überhäuft. Externe Netzteile – wiederum Made in China – sind einfach viel günstiger interne Stromversorgungen.

Da wurde bisher stillschweigend einfach in Kauf genommen, dass diese Dinger auch dann Strom verbrauchen, wenn gar nichts dranhängt. Ein Gerät, das diesen Fehler korrigiert, soll dann als Innovation verkauft werden, wie dreist.

Green-IT-Lösungen nur vom Anwender oder Integrator

Die als Grün propagierten Geräte vom Hersteller sind meilenweit davon entfernt, energieeffizient zu arbeiten. Es liegt also am Anwender oder am Systemintegrator selbst, eine IT-Installation möglichst umweltfreundlich und Energie sparend umzusetzen.

Die Verwalter sollten die Hardwareanforderungen sehr genau kalkulieren und nicht pauschal alle Server und Speicher eine Nummer zu groß anschaffen. Virtualisierte Rechner sparen physische. Hier verbrauchen wenige große Server weniger Energie als viele kleine.

Gleiches gilt für Speichersysteme: Wenige Storage-Systeme mit großen Laufwerken arbeiten effizienter als mehrere Systeme mit kleinen Platten. Klimasysteme mit freier Kühlung (Außenluft) brauchen nur ein Zehntel des Stroms, den die üblichen Klimaanlagen mit Innen-/Außenteil-Architektur und Kühlmittelleitungen dazwischen verbraten.

Es gibt zig Stellen, um im Rechenzentrum und am Arbeitsplatz Strom zu sparen. Dazu gehören simple abschaltbare Steckdosenleisten als Standby-Strom-Killer an Arbeitsplätzen, ebenso komplizierte Umluftkühlungskonstruktionen im Rechenzentrum.

Diese Lösungen gibt es schon seit Jahren und nicht erst, seitdem irgendein schlauer US-Manager (der einen 8-Liter-V12-Hummer fährt) den Slogan »Green-IT« erfunden hat und damit seit Anfang 2008 die EDV-Branche nervt.

Strompreis erzwingt wahre Green-IT

Letzen Endes zwingen die stetig steigenden Strompreise die Unternehmen zum Umdenken. Wenn IT-Manager erst einmal so weit sind, dass ihre Einkaufskriterien den Stromverbrauch und die Performancedaten gleich werten, werden IT-Hersteller real energieeffiziente Lösungen entwickeln.

Bis dahin bleibt Green-IT ein Hype ohne wirklich praktischen Nutzen – und sinnvolle Ansätze gab es schon lange vor dem Hype.


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