Zur 27. UN-Klimakonferenz

Verzichten und die Welt retten

7. November 2022, 17:20 Uhr | Martin Fryba
Ägypten, Sharm El-Sheikh: Umweltaktivisten halten ein Transparent vor dem Tor zur UN-Klimakonferenz COP27 im International Convention Center in Sharm El-Sheikh hoch.
© Gehad Hamdy/dpa

Online-Shopping oder Streaming entsagen? Ja, ein bisschen schon. Aber Smartphone- oder gar Internet-Fasten? Unvorstellbar! Drollige Bitkom-Studie zur Verzichtskultur im Zeichen des Klimaschutzes.

Der vom Club of Rome 1972 veröffentlichte Bericht „Grenzen des Wachstums“ war von einigen Kritikern damals als „unverantwortlicher Unfug“ bezeichnet und als Katastrophenszenario gebrandmarkt worden. Zehn Jahre später klopften sich jene Ökonomen auf die Schulter: Der Ölpreisschock währte nur kurz, in den 80er Jahren war der Preis für den wichtigsten Rohstoff der Industrialisierung im Keller gewesen. Der vorhergesagte Weltuntergang trat nicht ein. Noch nicht, muss man heute sagen. Nun aber beginnt die Menschheit im Anthropozän geradezu auf Kipppunkte zuzusteuern, so dass die künftige Generation jeder Handlungsoption in Sachen Klimaschutz beraubt wird. Oder, wie es Bernd Ulrich diese Woche in der Wochenzeitung Die Zeit schreibt: „Wenn es noch eine Weile so weitergeht mit der Erhitzung der Erdatmosphäre, dann regiert hier demnächst das THW zusammen mit der Leopoldina und dem Bundesgrenzschutz“.

Noch kein Festkleben am Amazon-Hochlager
Wäre die Lage der Menschheit nicht so dramatisch angespannt, man könnte die Fragen als drollig bezeichnen, die der Bitkom rund 1.000 Menschen in Deutschland ab 16 Jahren stellte. Kann, ja will der geneigte digitale Nutzer auf lieb gewonnene Gewohnheiten verzichten? Eher nicht. Dazu hätte es keiner Umfrage bedurft, um festzustellen: Rund ein  Drittel würde auf Online-Shopping und Streaming von Videos verzichten, um einen Beitrag zur CO2-Reduktion zu leisten. Man hat freilich nicht den Eindruck, dass dem schlechten Gewissen auch Taten folgen. Nicht einmal Aktivisten der Letzten Generation haben sich bislang an Hochlager von Amazon festgeklebt.

So kann einstweilen reibungslos online weiterbestellt werden. Ein Verzicht auf das Internet oder das Smartphone kommt ohnehin nicht in Frage. Kurios an der Bitkom-Umfrage: 13 Prozent könnten „rein theoretisch“ auf das Internet verzichten, fragte man Personen, die praktisch das Web gar nicht verwenden. Die Bereitschaft zum Verzicht auf das Internet tendiert bei der Online-Gemeinde gegen Null, je jünger das Publikum.

Bis zu 3,9 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes auf IT-Industrie zurückzuführen
Zur Ehrenrettung des ITK-Branchenverbands sei immerhin gesagt, dass die obersten Lobbyisten der Technologiebranche nicht ganz so blind die Augen vor dem Impact der IT auf das Klima verschließen: „Die Nutzung und Herstellung von Endgeräten, der Betrieb von Rechenzentren und Übertragungsnetzen verbraucht Energie und sorgt damit für einen Ausstoß von CO2“, ließ sich der Bitkom dann doch zu dieser nicht ganz so neuen Aussage hinreißen und konkretisiert sogar: Zwischen 1,8 und 3,9 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes würden darauf zurückfallen. Tendenz eher im Einklang mit der steigenden Erderwärmung.

Katzenvideos adé?
Tipps zur Mäßigung, nicht zum Verzicht, gibt der Bitkom auch, was das Gewissen der Netflix-, Amazon Prime- oder Fans unzähliger Katzenvideos auf Youtube, Instagram oder Tiktok beruhigt: Lieber Videostreaming schauen auf dem Smartphone oder Tablet in SD-Auflösung statt auf großen Flachbildfernsehern, rät der Bitkom. Letztere verursachen nämlich einen CO2-Ausstoß von 880 Gramm die Stunde, die kleineren Formate nur etwa 30 bis 35 Gramm.

Und bitte an klimafreundliche Einstellungen und Green IT denken: Bildschirmhelligkeit runter, Energiesparfunktion einschalten, überflüssige Daten und Apps löschen, Stand-by-Modus sowie Autoplay vermeiden  und Alt-Geräte weitergeben und Refurbished-Produkte statt Neuware kaufen.

Blöd nur, dass XXL-Formate sowohl bei Fernsehern als auch bei Smartphones boomen. Überhaupt wird im IoT alles mit allem vernetzt. Die App für den smarten Backofen oder Saugroboter folgt dem Convenience-Trend. Wen scherte es schon, dass jede Wlan-Konnektivität Strom verbraucht?

Es darf halt nicht wehtun und nichts kosten
Doch, es gibt gar nicht so wenige Menschen, die sich vorstellen können, dem Fortschritt zu entsagen. Acht Prozent, so der Bitkom, würden - theoretisch - auf alle Annehmlichkeiten verzichten, ließe sich der Klimawandel so erheblich verlangsamen. Ihnen stehen elf Prozent gegenüber, die auf gar nichts verzichten wollen. Die Spaltung passt irgendwie in das diffuse Gesamtbild zur Lage der Menschheit, das man an den Rändern studieren kann. Die einen wollen die Welt retten, die anderen haben sie womöglich schon abgeschrieben. Beides ist ihnen gemein: Es darf halt nicht wehtun, beziehungsweise nichts kosten.

So trifft sich die Staatengemeinschaft an diesem Montag in Ägypten, um zwei Wochen lang wieder einmal über die Rettung der Welt zu debattieren  – zum 27. Mal.


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