Voice over IP: Actebis Open Talk

1. September 2005, 0:00 Uhr |

Voice over IP: Actebis Open Talk. Die DSL-Vermarktung lief bisher weitgehend am Fachhandel vorbei, mit den nun möglichen VoIP-Angeboten bekommt er jedoch eine neue Chance. Wie diese zu nutzen ist und inwieweit sich das neue Interesse an Voice over IP auch in Projekten in Unternehmen umsetzen lässt, diskutierten Hersteller und Händler unter Leitung von Computer Reseller News beim Actebis Open Talk mit dem Distributor.

Voice over IP: Actebis Open Talk

Das schon seit Jahren viel diskutierte Thema Voice over IP (VoIP) bekam in Deutschland im Frühjahr auf einmal neuen Schwung: Telefonieren über den DSL-Anschluss wurde für Privatkunden der Faktor, der das Interesse in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß auch in Kaufbereitschaft umschlagen ließ. »Im Dezember 2004 haben wir noch 25 Millionen VoIP-Minuten ins deutsche Festnetz vermittelt, drei Monate später waren es schon 50 Millionen«, zog Andreas Maurer, Pressesprecher von Schlund + Partner für die Schwesterfirma 1&1 Bilanz. Des einen Freud?, des anderen Leid: Da der Erfolg des 1 & 1-Angebotes nicht zuletzt auch auf die stark vergünstigte AVM-Hardware zurückzuführen war, befürchtete der Fachhandel zunächst Einbußen in seinem eigenen Geschäft und formulierte lautstark Kritik am Berliner Traditionshersteller. »Wir als Hersteller haben uns diese verrückte Marktsituation nicht gewünscht«, verteidigt Ulrich Müller-Albring, Geschäftsführer der AVM Computersysteme Vertriebs GmbH, seine Strategie. »Wir haben ein ehrliches Produkt. Wenn das im Regal steht, der Kunde zum Händler geht und es zu einem vernünftigen Preis kauft, wäre uns das auch lieber. Dann ist die ganze Vertriebskette in Ordnung«, weiß der AVM-Chef. Es gebe aber Märkte mit einer Dynamik, die sich nicht aufhalten lasse ? und dieser Dynamik müsse eben auch ein Hersteller wie AVM Tribut zollen. »2001, als die DSL-Entwicklung anfing, trat ich ausdrücklich dafür ein, dass der Fachhandel einsteigt. Aber über einen einstelligen Anteil an der DSL-Vermarktung kam er nie hinaus. Die cross-subventionierten Angebote machten es ihm dann noch schwerer, ein Angebot zu formulieren«, erinnert sich Müller-Albring. »Jetzt kommt VoIP, jetzt kommt die nächste Welle, das ist eine gute Gelegenheit, es noch mal zu versuchen ? aber ganz anders«, blickt er nach vorne. Fachhändler seien in den vergangenen Monaten gegenüber dem Endkunden in die Lage versetzt worden, das gleiche Angebot unterbreiten zu können wie der Internetanbieter in seiner Kampagne ? und könnten dabei noch Geld verdienen. »Am Ende des Jahres wird in Deutschland von allen Herstellern mehr VoIP-fähige Hardware über den Fachhandel verkauft worden sein als einfache DSL-Hardware«, prognostiziert Müller-Albring. »Wenn Sie alle mitmachen, schaffen wir unser Ziel, in dem ganzen DSL-Geschehen eine Fachhandelsquote von 25 bis 30 Prozent zu erreichen.« Zum Vergleich: Als ISDN seine beste Zeit hatte, lag der Fachhandelsanteil bei 44 Prozent ? aber das ist schon lange her, und die Zeiten haben sich geändert.

»Der Fachhandel muss letztendlich auf VoIP setzen, denn es wird in ein paar Jahren nichts anderes mehr geben«, stellt auch Maurer fest. Er müsse zwar zugeben, dass 1&1 den Fachhandel mit der subventionierten AVM-Hardware erstmal etwas übergangen habe. »Daher haben wir uns auch bewusst mit AVM zusammengetan und bieten dem Fachhandel inzwischen die Möglichkeit, die Hardware auch zu Providerpreisen zu verkaufen«, relativiert Maurer. Seit Januar, als das Fachhandelsangebot »DSL-Direkt« gestartet worden sei, habe man schon über 2.000 Fachhändler gewinnen können.

Die Unternehmensberatung Roland Berger hat in einer Studie festgestellt, dass 83 Prozent der Deutschen Internet-Telefonie kennen ? wohlgemerkt Internet-Telefonie, nicht VoIP. 44 Prozent seien begeistert von den Einsatzmöglichkeiten, 14 Prozent planten den Einstieg innerhalb der nächsten zwölf Monate. Niedrige Kosten und Zusatzfunktionen sind laut der Marktforscher die wichtigsten Argumente für einen Einstieg. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern mit geringer ISDN-Durchdringung, ist in Deutschland aber die Erwartung an die Zusatzfunktionen offensichtlich besonders hoch.

Schweres Erbe ISDN

Uwe Makowka, Geschäftsführer des Telekommunikationsfachhandels Makowka Electronic & Communication aus Fiestel in der Nähe des ostwestfälischen Lübbecke, hat damit Erfahrungen in der Praxis gemacht: »So rosig wie die Situation in der Theorie und der Presse oft geschildert wird, ist sie nicht. Wird haben noch keine Quality of Service im öffentlichen Netz. Die Qualität ist keine ISDN-Qualität«, beklagt Makowka. Er nennt auch ein Beispiel: »Versuchen Sie einfach einmal, ein Fax drüber zu schicken: Es geht nicht.« Auch gebe es noch Latenzzeiten, die nicht zu ISDN passen und Hall. »Bei einer IP-Verbindung zwischen zwei herkömmlichen Telefonanlagen werden mehrere Male Analog-Digital-Wandlungen hervorgerufen, die einfach ein Echo verursachen. Ich kenne keine Hardware auf dem Markt, die ein normales analoges, schnurloses Siemens-Freisprechtelefon dazu bringt, keinen Hall mehr zu produzieren«, resümiert Makowka.

»Die ISDN-Leistungsmerkmale sind für uns ganz klar die Minimalanforderung«, räumt auch 1&1-Sprecher Maurer ein. Auch die Sprachqualität müsse stimmen. Dazu habe aber sowohl 1&1 als auch Schlund + Partner von Kunden und Händlern bisher noch kaum negatives Feedback bekommen. Auch Müller-Albring verteidigt die neue Technologie: »Heute haben wir die technischen Grundlagen, die uns Moss-Werte bis 4,3 oder 4,5 und eine Latenzzeit unter 130 Millisekunden erlauben.« Das seien letztendlich ISDN-Werte auf einer Standard-Internetleitung. »Alle ISDN-Leistungsmerkmale, die der Verbraucher kennt, sind realisiert ? und es gibt noch neue dazu. Der dritte VoIP-Kanal ist jetzt möglich, d.h. es können drei Gespräche über eine Internetverbindung parallel geführt werden: Das ist ein kompletter Kanal mehr als bei ISDN«, bekräftigt Müller-Albring.

Für Consumer oder KMU lasse sich damit ein Innovationsraum betreten, der sogar noch weitere Leistungsmerkmale in der Zukunft in Aussicht stelle, etwa so genannte Presence-Services. »Das ärgert zwar die Kollegen aus Amerika, denn die haben das nie gelernt, aber der Standort hier hat das gelernt und genau deshalb ist das die richtige Strategie für dieses Land: Eine VoIP-Innovationsstrategie zu fahren, die mehr Leistungsmerkmale ermöglicht und sinnvolle Services zum Kunden transportiert«, blickt der AVM-Chef in die nahe Zukunft. Das sei auch der Grund, warum jetzt dieser Erfolg der Technologie am Markt zu sehen sei.

Holpriger Start in Unternehmen

Während also Privatkunden nun die Technologie begeistert aufgreifen, ist es in Unternehmen für den Handel schwieriger, VoIP zu platzieren. »Mittelstandsgeführte Unternehmen sind in der Regel nicht VoIP-fähig, da sie an die klassischen alten TK-Anlagen mit langjährigen Wartungsverträgen gebunden sind. Der konzerngebundene Mittelstand fährt teilweise seit Jahren schon eine auf VoIP ausgerichtete Strategie, was die Infrastruktur betrifft. Beim unternehmergeführten Mittelstand muss auf alle Fälle im Voraus eine Netzanalyse durchgeführt werden, da es dort bisher zumeist keine Markenstrategie gab«, fasst Andreas Pohl, Geschäftsführer des Systemhauses PCT GmbH, seine Erfahrungen zusammen. Auch Siegbert Werner, Sales Manager Central Europe beim Netzwerkanbieter Netgear Deutschland GmbH, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: »Gerade der Mittelstand hatte in der Vergangenheit nicht die Mittel, um eine vernünftige, VoIP-fähige Infrastruktur zu schaffen. Bei den vorhandenen Switches fehlen QoS und Power over Ethernet, WLAN-Strukturen sind nicht QoS-fähig«, resümiert Werner. Mittlerweile seien die Preise für Infrastrukturkomponenten mit diesen Funktionen jedoch auf einem Niveau, das nur noch wenig über dem von Produkten ohne diese Funktionen liege ? was den Unternehmen die Entscheidung für zukunftsfähige Netze deutlich erleichtere. Wolfgang Drost, Geschäftsführer von United IP Voice & Data Communications over IP, stimmt Werner weitgehend zu: »QoS war in den früheren Netzen nicht Standard, die Komponenten werden zwar günstiger, aber hier ist grundsätzlich eine Analyse des Netzwerkes notwendig. Und in 90 Prozent der Fälle muss dann erst einmal investiert werden.«

Und auch Hans-Jürgen Schneider, Vertriebsleiter DACH der Funkwerk Enterprise Communications GmbH, sieht im IT-Bereich einigen Nachholbedarf: »Viele Kunden müssen sich ihr Netz erst einmal genauer anschauen. Als Hersteller setzen wir daher auf die Migration bestehender TK-Systeme. Unsere TK-Anlagen lassen sich mit einem Modul nachrüsten, womit nicht nur VoIP, sondern VoIP über VPN möglich wird. Damit bleiben unsere
Kunden in ihrem vertrauten System und können auch Systemleistungsmerkmale weiterhin nutzen.« Damit spricht Schneider einen wichtigen Punkt an, den auch United IP-Geschäftsführer Drost betont: »In einem Trunking-Szenario gibt es relativ wenig Probleme. Dabei wird einfach die bestehende TK-Anlagen-Infrastruktur genutzt und um einen zentralen Gateway mit gutem QoS ergänzt. Dadurch kann die Infrastruktur weiter im Einsatz bleiben, was besonders für Kunden mit langfristigen Wartungsverträgen interessant ist.«

Neue Chancen durch VoIP

PCT-Chef Pohl sieht trotz der mangelhaften Infrastruktur in vielen mittelständischen Unternehmen optimistisch in die nahe Zukunft: »Wir hatten jahrelang VoIP und keine Antworten ? der Kunde hätte 100 Jahre telefonieren müssen, um die mit einer VoIP-Installation verbundenen Kosten wieder einzufahren Wir haben jetzt endlich Antworten: Seit einigen Monaten gibt es Möglichkeiten, bestehende Infrastrukturen nutzen zu können, womit wir dann auch in bestehende IT- und TK-Welten hineinkommen. Es lassen sich nun Lösungen anbieten, deren Preis im drei-, vier- oder fünfstelligen Bereich liegt und die damit für den Mittelstand überhaupt erst in Frage kommen.«

»Mit den heutigen Produkten lassen sich so viele Chancen nutzen«, lobt auch Dieter Goldenpfennig, Geschäftsführer des Systemhauses A.I.V. Services GmbH, und nennt dafür konkrete Beispiele. »Die Kunden brauchen lediglich einen DSL-Zugang und VoIP, dann lassen sich mit der Fritz-Box ? ohne dass bei der Telekom Dienste beantragt werden müssen ? Funktionalitäten wie Parallel-Ruf schalten, Telefone mehrfach klingeln und Ähnliches realisieren. Die Telekom lässt sich solche Dienste sonst immer bezahlen oder sie sind mit herkömmlichen TK-Anlagen nur begrenzt möglich.«

Diese Möglichkeiten muss der Handel aber bei Kunden mit großem Aufwand erklären. »In Projekten leisten wir heute erst einmal 70 Prozent Consulting, bevor überhaupt ein Stück Hardware in die Angebotsphase kommt«, erklärt Pohl. Durch die wirtschaftliche Entwicklung seit 2001 würden keine innovativen Produkte mehr gekauft. Dagegen schauen die Kunden, was auf dem Angebotspapier unten rechts steht, was die Investition mittel- oder sogar kurzfristig bringe. »Bei VoIP-Installationen lassen sich in Verbindung mit CRM, ERP oder auch Exchange gewisse Synergien finden und auch Kostenreduzierungen nachweisen, weil die Produkte nicht mehr so teuer sind«, zeigt Pohl Chancen auf. »Inzwischen sehen die Kunden, dass sich durch Konvergenz Kosteneinsparungen und höhere Effektivität erzielen lassen«, bestätigt auch Netgear-Vertreter Werner.

Geänderte Geschäftsmodelle

»Die klassischen TK-Dienstleistungen ? Rangierarbeiten, Umzugsarbeiten ? fallen natürlich im Bereich VoIP weg. Die Administration von VoIP ist ? wenn das Know-how vorhanden ist ? mit weniger Aufwand und Personal möglich«, weiß Pohl. »Bei VoIP ist mehr Bestandspflege, Erweiterung und Integration notwendig. Der Vorteil dabei ist, dass die Dienstleistung qualitativ hochwertiger ist. Firmen müssten daher erheblich besser qualifizierte Mitarbeiter haben. Gleichzeitig werde das Geschäft schwieriger, da viele große Firmen, die dieses Know-how bereits besitzen, von oben in den Mittelstand drängten und versuchen würden, sich diesen Markt zu erschließen.«

»Künftig werden Händler viel komplexer denken müssen, um im Geschäft zu bleiben«, weiß auch Funkwerk-Vertriebsleiter Schneider. Makowka bestätigt aus eigener Erfahrung: »TK-Händler, die sich mit VoIP befassen, müssen ihren Horizont erheblich erweitern.« Er gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass es Endkunden überhaupt nicht interessiere, mit welcher Technologie sie telefonieren: »Sie wollen eigentlich genauso telefonieren wie jetzt ? und möglichst am Ende des Monats eine geringere Rechnung bekommen.« Netgear-Vertriebschef Werner sieht andererseits durch die zunehmende Komplexität der LAN-Strukturen auch in mittelständischen Unternehmen neue Dienstleistungen und verweist noch mal darauf, dass »viele Netze noch gar nicht so weit sind, die neuen Dienste ? Sprache, Video oder auch erhöhtes Datenaufkommen ? bewältigen zu können. Auch dafür werden Beratung und Dienstleistungen in großem Umfang notwendig sein.«

»Daher finden wir als Distributor das Thema auch so spannend«, erklärt René Schäfer, BU Manager Software, Kommunikation, Netzwerk und Storage bei Actebis Peacock. »Die IT im KMU- und SMB-Umfeld wird jetzt bei den Kunden gefragt, wie neue Applikationen realisiert werden können oder wie mit IT Prozesse optimiert werden können. Und im Rahmen einer Überlegung, was VoIP für das Unternehmen bringt, wird auch über das LAN und die Netzwerktopologie nachgedacht.« Actebis Peacock sei als Distributor zwar traditionell stark in der IT verwurzelt, er sehe aber auch, dass Herstellerpartner das Thema für LANs und WANs im SMB- und KMU-Bereich erschließen würden: »Wir glauben, das bietet unserer Fachhandelsschaft, die da mitmacht, eine sehr große Chance.«

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Teilnehmer des Actebis Open Talk in Zusammenarbeit mit CRN

René Schäfer, BU Manager Software, Kommunikation, Netzwerk und Storage, Actebis Peacock GmbH & Co. KG
Dieter Goldenpfennig, Geschäftsführer, A.I.V. Services GmbH
Ulrich Müller-Albring, Geschäftsführer, AVM Computersysteme Vertriebs GmbH
Hans-Jürgen Schneider, Vertriebsleiter DACH, Funkwerk Enterprise Communications GmbH
Uwe Kränke, Geschäftsführer, NCT Technology
Uwe Makowka, Geschäftsführer, Makowka Electronic & Communication
Siegbert Werner, Sales Manager Central Europe, Netgear Deutschland GmbH
Andreas Pohl, Geschäftsführer, PCT GmbH
Andreas Maurer, Pressesprecher, Schlund+Partner
Wolfgang Drost, Geschäftsführer, United IP Voice & Data Communications over IP


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