Lars, but not Least

Amazon „Ring Nation“: Datenschutzalbtraum in Serie

23. August 2022, 9:10 Uhr | Lars Bube
© CesareFerrari - AdobeStock

Monatelang haben feige Tiktok-Trolle ungehindert unschuldige Amazon-Boten mit allerlei Mätzchen vor ihren smarten Türspionen gequält. Doch jetzt schlägt der Etailer im Namen seiner geliebten Subunternehmer zurück und zeigt den Fieslingen, wer hier der Herr der Ringe und Dinge ist.

Nichts fällt dem Menschen so leicht, wie über das Unglück anderer zu lachen. Befriedigt das doch seine niedersten Instinkte und gibt ihm das erhabene Gefühl, dem Opfer überlegen zu sein. Entsprechend der daraus abgeleiteten Erkenntnis „Schadenfreude ist die schönste Freude“ gehören mehr oder weniger lustige Kurzvideos mit allerlei Ausrutschern und Pannen aus dem realen Leben („Fails“) im Internet und den sozialen Medien zu den erfolgreichsten Beiträgen und erreichen oft ein Millionenpublikum. Weil mit dem Smartphone oder Handy beinahe jeder eine Kamera in der Tasche griffbereit hat, geht das Material an torkelnden Tänzern, tapsigen Tieren, stolpernden Sportlern, hilflosen Heimwerkern sowie anderen Peinlichkeiten und Missgeschicken nie aus – ganz im Gegenteil. Zuletzt kam sogar noch eine neue Spielart der digitalen Schadenfreude hinzu: Überwachungskameras, die automatisch komische bis kriminelle Zusteller, patzige Pizzalieferanten und dummdreiste Diebe aufzeichnen.

Auf Tiktok wird es gar als Wettbewerb betrieben, Amazon-Boten vor digitalen Türspionen zum Tanzen oder anderen komischen Aktionen aufzufordern, damit diese ihre erhoffte gute Bewertung erhalten. Ironischer Weise nutzen die digitalen Tyrannen dazu häufig ausgerechnet Kameras des zu Amazon gehörenden Herstellers Ring, die ihnen – wie so vieles andere – erst die nun drangsalierten Zusteller gebracht haben. Völlig berauscht von der Macht des Rings verwandeln sich die ängstlichen Mitbürger so in sadistische Trolle und drehen ihre Abhängigkeit von den Lieferanten um, indem sie die vermeintlich macht- und wehrlosen Lieferhobbits nach Lust und Laune bloßstellen. Damit ist eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Wurden die Opfer im Netz bisher schon durch ihre meist ungefragte Zurschaustellung datenschutzrechtlich und öffentlich brüskiert, wird nun auch noch die moderne Sicherheitstechnik des Rings leichtfertig dazu missbraucht, wehrlose Personen absichtlich zur Generierung von Likes –und gegebenenfalls auch entsprechendem Umsatz – lächerlich zu machen.

Aber zum Glück haben die Hobbits in ihren einen mächtigen Verbündeten auf ihrer Seite: Denn auch wenn sie auf dem Papier unabhängig sein mögen, stehen sie letztlich doch in Diensten des mächtigen Zauberers Jeff Bezos, der mit seinem feurigen Amazon-Auge tief ins Innerste jedes Bürgers und Haushalts schauen kann. Während die rechtsstaatlichen Institutionen alleine schon angesichts der schieren Masse solcher Eskapaden im Internet weitestgehend machtlos sind, greift dessen digitale Service-Supermacht jetzt ein und stellt sich einmal mehr auf die Seite der Schwachen. Denn mag ihr finanzieller Verdienst auch noch so klein sein, ist dem Megakonzern doch klar, wie elementar der Verdienst seiner kleinen und tapfer gegen alle Widrigkeiten anmarschierenden „Logistik-Partner“ für den eigenen Umsatz ist. Als exemplarischer Vertreter der New Economy versteht Amazon zudem nur zu gut, dass sich unliebsame Probleme im Netz nicht durch Verbote, sondern nur durch Verdrängung aus der Welt schaffen lassen. Deshalb hat der Chef-Magier in seinem Raketen-Turm schon beizeiten eine clevere Strategie ersonnen und keine Kosten und Mühen gescheut, um seine geknechteten Boten aus den Fängen der sadistischen Tiktok-Nutzer zu befreien.

In einem ersten Schritt wurde dazu das smarte Türüberwachungssystem Ring gekauft, um sich einen direkten Zugang zu den technologisch hochgerüsteten Schlüssellöchern zu verschaffen. Während andere Plattformen erst um Content betteln und buhlen müssen, bekommt ihn Amazon damit im doppelten Sinne frei Haus und hat seither auch noch die Geschehnisse vor den Haustüren genauestens im Blick – und die Videos davon in der eigenen Cloud. Um diese bestmöglich für die eigenen Zwecke in Szene setzen zu können, übernahm der Internetmulti dann jüngst noch die renommierte Hollywood-Schmiede Metro Goldwyn Mayer (MGM). Von deren Fachleuten wird das vor den Türen der Fieslinge in den USA gesammelte Material jetzt zu einer Sendereihe mit dem Titel „Ring Nation“ verarbeitet, in der die Ring-Besitzer anhand ihrer peinlichsten Pannen vor der eigenen Haustüre nun selbst entsprechend vorgeführt werden. Sendestart ist schon nächsten Monat.

Natürlich werden die notorischen Nörgler und manischen Misanthropen an dieser Stelle wieder das alte Missverständnis bemühen, Amazon sammle und vermarkte hier einmal mehr rücksichtslos die Daten seiner Kunden. Tatsächlich jedoch geht es dem Konzern um eine digital-didaktische Gegenmaßnahme im besten erzieherischen Sinne. Die gemeinen Ringgeister werden damit auf äußerst humorvolle Weise mit den eigenen Waffen und Daten geschlagen und können so am eigenen Leib nachvollziehen, wie schlecht sich das für die Amazon-Zusteller anfühlt. So ist ihre Läuterung gewiss.

Der Rest der Zuschauer, insbesondere der Teil mit analoger Türtechnik, darf sich indes über den Sieg Jeff Saurons über Tiktok freuen und schallend in ungetrübter Schadenfreude über all die gezeigten Dummheiten lachen. Nur die ewig kritischen Datenschützer unter ihnen sollten sich dazu vielleicht besser in den Keller begeben und keinesfalls über die realen Hintergründe und weiteren Implikationen dieser neuen Evolutionsstufe der ungefragten Reality-Trash-Unterhaltung für den Datenschutz nachdenken.

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