Ladendiebstahl

Thüringen ist nicht überall

11. Mai 2021, 10:19 Uhr | Martin Fryba
© AdobeStock/Jayzynism

Trotz weniger Öffnungstage soll in einigen Bundesländern mehr geklaut worden sein. Der Negativrekord wird Thüringen zugeschrieben. Zur Dramaturgie des Diebstahls im Corona-Jahr 2020.

Warum Menschen fremdes Eigentum stehlen oder unterschlagen, steht in keiner Kriminalstatistik. Mit Geschäftemachern unter Politikern, die sich in der Pandemienot an Steuergeldern bereichern, haben schnöde Ladendiebe freilich eines gemeinsam: Ihnen fehlt es am Unrechtsbewusstsein. Ob Kleptomanie oder Mundraub, wie das 1975 rechtlich abgeschaffte Delikt der Verbrauchsmittelentwendung hieß und heute als Diebstahl geringwertiger Sachen als Straftat gilt: Die Motive spielen letztlich keine Rolle. Man wüsste dennoch zu gerne, ob die materielle Not in der Corona-Pandemie allgemein so angewachsen ist, dass 2020 in einzelnen Bundesländern mehr geklaut wurde – trotz weniger Öffnungstage des Einzelhandels wegen Lockdown.

Dass vereinzelt die Zahlen der Eigentumsdelikte zunahmen, hat Milestone Systems brav zusammengetragen. Nicht ganz ohne Marketingeigennutz. Schließlich sollen sich Einzelhändler mit den Videoüberwachsungssystemen der Firma vor Diebstahl schützen können. Oder zumindest potenzielle Diebe abschrecken, wenn sie Läden betreten, deren Decken vollbestückt mit Kameras sind.

Die Ergebnisse einer deutschlandweiten Analyse zu Ladendiebstählen, die der Anbieter von Videomanagementsoftware nun veröffentlichte, sehen wie folgt aus: In Thüringen wurden letztes Jahr 15 Prozent mehr Diebstähle zur Anzeige gebracht, obwohl die Geschäfte dort 25 Tage weniger geöffnet waren als im Vorjahr. Das soll  bundesweiter Wachstumsrekord sein, den zu verschlagzeilen das offizielle Bürgerschock-Organ bislang versäumt hat. Vielmehr titelte Bild schon im März 2020, als Bürger und eben auch Diebe zu Beginn der Pandemie meinten, sich bevorraten zu müssen: »Hamsterklau in Thüringen?«. Keine Panik, liebe Tierschützer. Es wurden aus Gothaer Privatwohnungen keine Nager entwendet, sondern ein Glas rote Beete, eine Flasche Wein und Toilettenpapier.

Rückgang in den meisten Bundesländern oder doch nicht?
Thüringen ist indes nicht überall: Zwar seien die  Zahlen in den meisten Bundesländern zurückgegangen, muss Milestone Systems einräumen. Um gleich hinterherzuschieben: Nicht aber in Berlin (plus 2,7 Prozent) und  Brandenburg (0,03 Prozent) und eben im Rekordbundesland Thüringen. Weitaus größer, aber der gewollten Aufregung willen eher abträglich, sanken dagegen die Eigentumsdelikte in Mecklenburg-Vorpommern (minus 13,3 Prozent), in Schleswig-Holstein (minus 12,5 Prozent) und in Hessen (minus 11,4 Prozent).

Gut, dass Relativierungen und statistische Kniffe zurück zur Dramaturgie des Diebstahls führen. So zieht man die im Pandemie-Jahr 2020 im Schnitt 42 Ladenöffnungstage weniger als 2019 von der Zahl der Gesamtöffnungstage ab, teilt das Ergebnis pro Delikte im jeweiligen Bundesland und kommt, voila, zur Aussage: »In keinem Bundesland ist die Zahl gesunken«. Was soll also nun gelten? Wird nun mehr oder weniger geklaut?


Milestone Systems zieht noch ein anderes Register, wie wir es aus der Inzidenzberechung kennen gelernt haben und qualifiziert auch sprachlich (aber immerhin genderkonform!), was wir von derlei Subjekten zu halten haben, die sich am Eigentum Fremder vergreifen.


»Auf 100.000 Einwohner:innen führen die Stadtstaaten den Vergleich um die Fälle von Ladendiebstahl an. In Berlin kam es 2020 mit 946 zu den häufigsten Vorfällen. Bremen folgt mit 778 Ladendiebstählen. Auf dem dritten Platz liegt Hamburg mit 721 illegalen Entwendungen von Waren. In Bayern hingegen haben Verbrecher:innen 219 Mal und damit am seltensten pro 100.000 Einwohner:innen zugeschlagen. Mit 20 Fällen mehr (239) folgt Rheinland-Pfalz. An dritter Stelle befindet sich Baden-Württemberg mit 274 Taten«.


In absoluten Zahlen stellen sich die Ladendiebstähle 2020 laut Aussendung der Pressemitteilung so dar: Nordrhein-Westfalen 74.500 Fällen, Berlin circa 34.700,  Baden-Württemberg etwa 30.400,  Mecklenburg-Vorpommern circa 4.900 und Bremen 5.500.


Die Statistik sei wie eine Laterne im Hafen. »Sie dient dem betrunkenen Seemann mehr zum Halt als zur Erleuchtung«, sagte einmal Hermann Josef Abs, Chef der Deutschen Bank und Multiaufsichtsrat der einstigen Deutschland AG.

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