Google im Deutschen Museum

Das Ende der Geschichte

28. Juli 2021, 18:23 Uhr | Martin Fryba
Übergabe vor dem historischen Zuse-Computer Z3: Kuratorin Luise Allendorf-Hoefer vom Deutschen Museum, Generaldirektor Wolfgang M. Heckl (mit dem Sycamore), Markus Hoffmann und Hartmut Neven von Google.
© Deutsches Museum/Hubert Czech

Quantencomputing ist museal geworden, bevor die Mega-Revolution überhaupt erst angefangen hat. Das ist ein einmaliger, ein verstörender Vorgang. Das Deutsche Museum ist nicht der richtige Ort, Zukunft auszustellen, weil niemand die Welt beschreiben kann, die dann Kopf stehen könnte.

Die Revolution ist 2 mal 2,5 Zentimeter klein, wurde erst vor zwei Jahren in den Laboren von Google geboren und ist jetzt schon im Museum zu bestaunen. Google hat dem Deutschen Museum den ersten Quantenprozessor geschenkt. Sycamore, das Prozessoren-Herz dieser bisherige Halbleiter-Architekturen umstürzenden Innovation, bezeichnet Museumsdirektor Wolfgang M. Heckl zu Recht als einen Meilenstein auf fünf Quadratzentimetern. Allein die Leistungsparameter sind beeindruckend: 200 Sekunden hat der Quantencomputer für eine Operation gebraucht, für die ein an sich schon an ein Wunder grenzender Supercomputer 10.000 Jahre gebraucht hätte.

Quantencomputer würden nichts weniger als die Welt neu vermessen, und zwar dramatisch schnell, auch wenn in vielleicht erst Jahrzehnten die mit Revolution noch viel zu schwach bezeichnete Technologie einzieht in Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Kryptografie, Materialforschung, Medizin oder Wetter- und Klimaentwicklung.

Mehr Zustände als es Atome im ganzen Universum gibt
Von den 54 Qubits des Sycamore-Quantenprozessors haben im Experiment zwar nur 53 funktioniert, womit der Prozessor eigentlich unzuverlässig und unbrauchbar ist. Dennoch sprechen Forscher von einem Durchbruch, von nunmehr letzten beseitigten Zweifeln, Quantencomputing würde nie realisiert werden und sei nicht beherrschbar. Experten sind sich sicher, funktionierende Maschinen mit 300 Qubits bauen zu können, die uns an die  Grenze heutiger Vorstellungskraft und darüber hinaus bringen wird. Ein Quantenprozessor mit 300 Qubits? Er würde mehr Zustände darstellen können als es Atome im ganzen Universum gibt.

Was wohl Oskar von Miller davon gehalten hätte?
Der Gründer des Deutschen Museums und Pionier der Elektrifizierung hatte eine andere Vorstellung von einem Technikmuseum:  Lernen, im wahrsten Sinne des Wortes Technik be-greifbar machen, ja auch begeistern für den damals noch im Schatten der Geisteswissenschaften stehenden jungen Ingenieursberuf. Be-greifen, Technik zum Anfassen, das ist bis heute das einmalige didaktische Konzept des bald vor 100 Jahren eröffneten, heute größten Technikmuseums der Welt. Es geht auf den klugen und auch barocken Bayern Oskar von Miller zurück, der die Besucher nicht in heiliger Ehrfurcht erstarren lassen wollte, wie man das zu dieser Zeit am gehobenen Bildungsbürger beobachten konnte, der von der Kunst geblendet aus dem Musentempel schritt. Die Leute sollen ins Museum hereinströmen, wie in die Buden auf dem Oktoberfest, zitiert das Deutsche Museum seinen Gründer.

Eine der Hauptattraktionen des Deutschen Museums ist bis heute der Blitzgenerator in der Hochspannungsabteilung. Keiner der 1,5 Millionen Besucher jährlich verpasst die Vorführung, wenn ein Mitarbeiter des Museums in den Faraday'schen Käfig steigt und ihn der Blitz mit einer Million Volt trifft. Strom ist gefährlich, in freier Natur tödlich, aber dank Technik beherrschbar und nutzbar. Man steigt mit der Gewissheit ins Auto, dass Forscher die Naturgewalt bändigen können. Das gibt ein Gefühl der Sicherheit, schafft Vertrauen in den forschenden und entwickelnden Ingenieur. Zunächst.

Quantenprozessor gehört nicht ins Deutsche Museum
Atomkraft hat Oskar von Miller nicht mehr erlebt. Nicht greifbares, nicht vorstellbares Quantencomputing auf fünf Quadratzentimetern von Google hätte von Miller vermutlich ratlos zurückgelassen. Wie das Wunderding Sycamore die meisten Besucher wohl mehr irritieren wird als es aufklären kann. Der zur musealen Zukunft erklärte Quantenprozessor gehört nicht ins Deutsche Museum.

Nicht weil Google sich hier als die Welt auf den Kopf stellender, innovativer Konzern vor jährlich 1,5 Millionen Museumsbesuchern exponieren darf. Auch nicht, weil die Bayerische Staatsregierung die Symbolkraft eines Daumennagel kleinen Hoffnungsträgers wieder einmal zur Selbstdarstellung ausschlachtet und den mit Millionen geförderten Wissenschaftsstandort Bayern zum Hort einer Schlüsseltechnologie erhebt. Und auch nicht unbedingt deshalb, weil das „Wunderding", auf das Direktor Heckl so stolz ist, in seiner baulichen Umgebung niemals in Betrieb gehen wird (dafür wäre eine Betriebstemperatur des Prozessors von minus 273 Grad Celsius sowie absolute Dunkelheit notwendig).

Kein Wissenschaftler, erst recht kein Politiker und auch kein Technikmuseum können Quantencomputing in seiner ganzen Dimension und damit auch die Schattenseiten überblicken. Eine Diskussion, die ethische Fragen beantwortet, wer wofür die immense Leistungsfähigkeit von Quantencomputern nutzen darf, hat noch nicht stattgefunden. Der Missbrauch durch autoritäre und totalitäre Regime wäre so folgenreich wie der angebliche Fortschritt für die Menschheit. In kriminellem Besitz würde die Quanten-Revolution tatsächlich umwerfend sein – für alles, was Menschen im Digitalzeitalter je aufgebaut haben. Das Ende der Geschichte? Wenn diese noch nicht geschriebene, aber schon museal geehrte Technologie in falsche Hände gerät, auf jeden Fall.

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