ICT CHANNEL-Interview zu Education-IT

„Das Thema nicht nur durch die Vertriebs-Brille betrachten“

21. April 2022, 8:40 Uhr | Michaela Wurm
Joachim Rieß, Account Executive Public Sector, Dell Technologies Deutschland
© Dell EMC

Bildung ist für IT-Hersteller nach wie vor ein Wachstumsmarkt – allerdings einer mit Hürden und Fallstricken. Wie sich diese umgehen lassen und warum das Geschäftsfeld immer noch lohnend ist, erläutert Joachim Rieß, Account Executive Public Sector bei Dell, im Interview mit ICT CHANNEL.

ICT CHANNEL: Der Bildungssektor galt noch im vergangenen Jahr als der Wachstumsmarkt für IT-Produkte. Seitdem ist es um das Thema still geworden. Was hat sich geändert?

Joachim Rieß: Viele Schulen und Sachaufwandsträger haben im letzten Jahr IT-Anschaffungen getätigt und Fördermittel, zum Beispiel aus dem Digitalpakt Schule, abgerufen. Nun stehen sie vor der Herausforderung, die neuen Lösungen in die Schullandschaft zu integrieren. Leider wurde aber gerade dieser Punkt oft vernachlässigt. Die wenigsten Bildungseinrichtungen verfügen über die Kompetenzen für das Management und die Integration umfassender IT-Infrastrukturen – und mal so nebenher lässt sich diese Aufgabe nicht bewältigen. Deshalb benötigen sie professionelle Unterstützung, die in vielen Fällen bei der Bedarfsplanung nicht mitberücksichtigt wurde. Hier besteht großer Nachholbedarf. Der Bildungssektor bleibt weiterhin ein Wachstumsfeld für den IT-Markt. Neben Hardware und Software werden Beratung und Support aber eine immer wichtigere Rolle spielen.

 

ICT CHANNEL: Bei der Digitalisierung der Schulen und Bildungseinrichtungen gibt es nach wie vor viel Nachholbedarf. Der Bund hat in den letzten beiden Jahren millionenschwere Förderprogramme dafür aufgelegt. Sind die bereits ausgeschöpft?

 Rieß: Die meisten Förderprogramme sind zeitlich begrenzt. Das gilt auch für den „DigitalPakt Schule“, der aber bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wurde. Die Gründe dafür sind vielfältig. Verstärkend kommt die aktuelle Marktsituation mit Engpässen in den Lieferketten hinzu, wodurch sich Investitionen verzögern. Häufig hält der Aufwand für die Planung neuer IT-Anschaffungen Schulen und Schulträger davon ab, aktiv zu werden. Schon vor der Beantragung von Mitteln müssen sie ein umfassendes Medienkonzept entwickeln und entscheiden, wie sie ihre Schul-IT aufbauen wollen, wer diese betreibt und wie sie in den Unterricht integriert wird. Entscheidern, deren Hauptaufgaben in der Bildung liegen, fehlt dafür oft einfach die Zeit. Wie schnell sich der Markt erholen wird und ob es dem Bildungssektor gelingt, mehr Fördermittel zu nutzen, lässt sich aktuell nur schwer einschätzen. Genauso bleibt abzuwarten, ob Programme wie der Digitalpakt Schule verlängert werden, um Bildungsträgern mehr Zeit einzuräumen, Investitionen strategisch und langfristig zu planen.

 

ICT CHANNEL: Falls nein, bieten sich hier nicht jede Menge Geschäftschancen für IT-Hersteller und deren Partner?

Rieß: Dienstleistungen wie das Client-Management und die Implementierung bleiben für IT-Hersteller und deren Partner weiterhin hoch interessant. Noch mehr IT zu beschaffen, ohne sie wirklich sinnvoll zu nutzen, hilft aus meiner Sicht aber nicht weiter. Natürlich wünschen wir uns als Hersteller ein Wachstum im Bildungssektor, aber wir dürfen das Thema nicht nur durch die Vertriebs-Brille betrachten. Im Mittelpunkt der Digitalisierung von Bildungseinrichtungen muss immer der praktische Nutzen für den Bildungsalltag stehen. Profitieren sollen am Ende vor allem die Schülerinnen und Schüler.

 

ICT CHANNEL: Und wenn ja, welche Produkte und Services sind hier gefragt?

Rieß: Lehrkräfte und Verantwortliche in den Einrichtungen sollten sich auf ihre Hauptaufgaben konzentrieren können. Dabei helfen nachhaltige Produkte mit langen Lebenszyklen. So müssen sich Schulen nicht jedes Jahr mit der Anschaffung neuer IT beschäftigen. Hinsichtlich der Services unterscheiden sich Bildungseinrichtungen nur wenig von mittelständischen Unternehmen. Sie benötigen professionellen IT-Support. Das umfasst Ersatzgeräte genauso wie professionellen 1st- und 2nd-Level-Support. Davon aber sind wir in den meisten Fällen noch weit entfernt. Aktuell müssen sich noch viel zu oft die Lehrkräfte selbst um die IT kümmern. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Externe Hilfe kostet natürlich Geld, und dafür sollten die Schulen dann auch die entsprechende Qualität und Leistung erhalten.  

 

ICT CHANNEL: Welche Fallstricke hält dieser spezielle Markt bereit?

Rieß: Auch wenn sich in der IT-Administration im Bildungssektor schon viel getan hat, ist das Verständnis von Schul-IT noch immer nicht den Anforderungen angemessen. Die IT spielt heute eine andere Rolle in der Bildung als noch vor einigen Jahren. Digitale Lösungen eröffnen im Schulalltag ganz neue Möglichkeiten, aber das bedeutet auch, dass sie nicht mehr als notwendiges Übel verstanden werden dürfen. 

 

ICT CHANNEL: Woran scheitern Projekte im Education-Umfeld?

Rieß: Häufig scheitern Projekte in Bildungseinrichtungen an mangelnden IT-Kompetenzen, einer viel zu bürokratischen Beschaffung oder fehlenden Industriestandards – die Liste möglicher Hürden ist lang. Hinzu kommt, dass auch ein technisch einwandfreies System bei der Integration in den Unterricht scheitern kann, wenn Lehrkräfte im pädagogischen Umgang mit IT nicht geschult sind. Grundsätzlich wird in der Digitalisierung von Schulen leider oft nicht lösungsorientiert genug gedacht. Stattdessen steht die Kostenfrage im Vordergrund, sprich: IT muss in erster Linie günstig sein. Langfristig sind die Digitalisierungsbemühungen mit diesem Ansatz aber zum Scheitern verurteilt.  

 

ICT CHANNEL: Wie müssen sich Reseller und Systemhäuser positionieren, um hier erfolgreich zu sein?

Rieß: Wer im Bildungssektor erfolgreich sein will, braucht einen langen Atem und viel Verständnis für die speziellen Herausforderungen dieses Marktes. Zudem muss der Fokus auf den Mehrwert für die Schulen gelegt werden, nicht nur auf den eigenen Gewinn. Wer Tagessätze oder Beratungshonorare wie im klassischen Enterprise-Markt erwartet, wird enttäuscht werden. Trotzdem kann man hier wirtschaftlich erfolgreich sein. Moderate Stundensätze und Nähe zum Kunden sind dabei die Grundsteine für ein nachhaltiges Engagement. Viele Reseller und Systemhäuser, die sich in diese Richtung entwickelt haben, sind hier inzwischen gut aufgestellt.

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