Einzelhandel kämpft und klagt

Verzweifelte Ladenbesitzer im Lockdown

25. Februar 2021, 12:44 Uhr | Martin Fryba
© Gerald Matzka/dpa

60 Prozent der Innenstadthändler stehen laut HDE vor einer Insolvenz, wenn Hilfsgelder und eine Öffnungsperspektive weiter auf sich warten lassen. Vor der Bund-/Länder-Schalte kommenden Mittwoch machen Einzelhändler Druck. Einige ziehen vor Gericht.

Ab kommendem Montag werden in bayerischen Städten frisch bezogenen Betten neben festlich gedeckten Tischen im Freien stehen. Nur wird niemand im Bett übernachten oder sich zum Mittagessen an den Tisch setzen können.  Hoteliers und Gastwirte in Bayern wollen mit der Aktion »Gedeckter Tisch und Gemachtes Bett« auf ihre dramatische Lage aufmerksam machen. Wie lange sie auf Gäste noch warten müssen? Die Bundesregierung kann es nicht beantworten, Stufenpläne zur Teilöffnung der Wirtschaft sind Ländersache. Ein Flickenteppich an Einzelregelungen wird für Verwirrung und Unklarheit sorgen.


Im Bayern sollen Gartencenter, Blumenläden und »körpernahe Dienstleistungsbetriebe« wie Friseure ab 1. März wieder öffnen dürfen, wenn sie garantieren können, dass auf je zehn Quadratmeter Ladenfläche nicht mehr als ein Kunde  im Laden steht (für Flächen bis 800 Quadratmeter, darüber hinaus müssen es 20 Quadratmeter pro Kunde sein). Das sind sicher sinnvolle Abstandsregeln als wichtiger Teil von Hygienekonzepten, die die Verbreitung von Covid-19 verhindern sollen.


Aber: Kontrolliert jemand, ob nie geschlossene Lebensmittelfilialen oder Drogerien diese Regeln zuverlässig eingehalten haben oder aktuell einhalten? Ob es Politiker verantworten können,  dass dem Einzelhandel auferlegte Abstandsgebote für den ÖPNV, für die Bahn und Flugzeuge nie gegolten haben? Je länger der Lockdown dauert, desto lauter werden die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gegen eine Verbreitung von Covid-19. Corona-Verlierer, die um ihre Existenz kämpfenden geschlossenen Einzelhändler und das Dienstleistungsgewerbe, machen auf ungleiche Behandlung aufmerksam. Sie fordern endlich eine Öffnungsperspektive.


Ungleichbehandlung
»Waren Sie in den letzten Wochen einmal im Großflächen-Supermarkt, beim Discounter um die Ecke oder in einem Drogeriemarkt einkaufen?«, fragt Franz-Josef Hasebrink, Chef der 4.000 Handelspartner vertretenden EK/Servicegroup Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem offenen Brief. »Da werden Elektrogeräte für den Haushalt und den Heimwerker angeboten, da gehen Socken und T-Shirts über die Laufbänder, da werden Haushalt-, Schreib- und Spielwaren verkauft. Da stehen Menschen ohne Beratung und Begrenzung vor den Warenträgern und drängeln sich auf hochfrequentierten Flächen um ultimative Wochen-Angebote wie Bettwäsche, Bratpfannen oder Parfüm«.


Zentral gesteuerte Filialisten hätten »ganz sicher nicht« die bessere Hygienekonzepte als inhabergeführte Elektrofachgeschäfte, Haushalt-, Mode- und Spielwarenhändlern, ist sich Hasebrink sicher. Ein »Weiter so« dürfe es nicht geben, ebenso wenig wie weiteres Warten auf finanzielle Unterstützung, die als November- Dezemberhilfen immer noch nicht ausbezahlt sind und für die vielen Mischbetriebe der EK/Servicegroup ohnehin nicht gelten. »Wir sehen, dass jeder Tag ohne Einnahmen den Einzelhandel immer weiter an den Abgrund drängt«, sagt er. »Der schnelle Transfer der Ausgleichszahlungen ist deshalb von existenzieller Bedeutung«. Hasebrink fordert von Altmaier daher ein »klareres und differenzierteres Öffnungsszenario sowie weitere und gerechte Ausgleichszahlungen für den Fachhandel«.

Klagen von Mediamarkt/Saturn & Co
Bei offenen Briefen und Appellen wollen es andere Einzelhändler nicht mehr belassen.  Unter dem Dach der Ceconomy wollen Mediamarkt und Saturn in Nordrhein-Westfalen Filialeröffnungen erzwingen. Beim Oberverwaltungsgericht Münster liegt ein Eilantrag auf Aufhebung der Betriebsschließungen vor. Auch in anderen Bundesländern will Ceconomy vor die Gerichte ziehen. Der Einzelhandel sei »nachweislich nie ein Infektionshotspot« gewesen, erklärt Florian Gietl, Deutschland-Chef von Mediamarkt und Saturn.


Ähnliche Schritte kündigten Filialisten in anderen Bundesländern an. Auch die Baumarktkette Obi, Modehändler Peek&Cloppenburg und das bundesweit präsente Kaufhaus Breuninger wollen vor Gericht ziehen und die Lockdownmaßnahmen gerichtlich sofort kippen lassen. Vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ist Breuninger mit seiner Eilklage zwar bereits abgeblitzt. Aber im Hauptverfahren sieht der Einzelhändler noch gute Chancen. Heinrich Deichmann, Eigentümer der gleichnamigen bundesweiten Schuhkette sieht den geschlossenen Einzelhandel in existenzieller Gefahr mit Folgen für viele Tausend Arbeitsplätze und deutsche Innenstädte. »Es besteht die akute Gefahr, dass viele Menschen in der Branche in den nächsten Monaten ihren Arbeitsplatz verlieren und dass Ladenschließungen zur Verödung von urbanen Räumen führen«, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Laut einer Befragung des Handelsverband Deutschland (HDE) wollen ein Viertel der arg gebeutelten Bekleidungshändler gegen die Schließung des eigenen Geschäfts vor Gericht zu ziehen.

 

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