Elektronische Patientenakte

Das nächste Milliardengrab

18. Dezember 2019, 13:52 Uhr | Martin Fryba
Ab 1. Januar 2021 müssen gesetzliche Krankenkassen allen ihren Versicherten Zugang zur ePA verschaffen. Die Nutzung indes ist freiwillig.
© AdobeStock/MQ-Illustrations

1,7 Milliarden Euro kostete bislang die elektronische Gesundheitskarte, auf der lediglich Stammdaten des Versicherten und ein digitales Bild gespeichert sind. Es war der größte Flop im Schwarzbuch 2017/18 des Steuerzahlerbunds. Ein noch größerer Flop droht nun der elektronischen Patientenakte.

In einem Jahr wird die elektronische Patientenakte (ePA) verpflichtend eingeführt, damit sollen dann alle Leistungserbringer im deutschen Gesundheitssystem untereinander vernetzt werden: 150.000 Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken und die 109 gesetzliche Krankenkassen (GKV). Mit der ePA soll ein digitales Gesundheitsnetz in Deutschland entstehen. Das Herzstück ist eine zentrale Telematik-Infrastruktur, die von der bundeseigenen Gematik entwickelt wird. Diese Gesellschaft legt technische Standards beispielsweise für Datenschutz und –sicherheit fest, zertifiziert mit dem BSI Lösungen von Drittherstellern wie Kartenterminals oder Schnittstellen zu Softwareherstellern.


Am 1. Januar 2021 müssen dann alle 73 Millionen GKV-Mitglieder Zugang zur elektronischen Patientenakte haben, nutzen müssen sie diese aber nicht. Die Zustimmung zur ePA ist freiwillig.  Privatversicherungen dagegen bleiben von der gesetzlich verbindlichen ePA verschont. Der erste Konstruktionsfehler aus Sicht der Ärzte: Sie müssen digital und weiterhin analog aufzeichnen.


Doppelte Arbeit auch deshalb, weil der an ePA teilnehmende Patient entscheidet, welche Daten im Einzelfall überhaupt in seiner Akte gespeichert werden sollen und wer darauf zugreifen darf. Sicher: Die Freiwilligkeit des mündigen Patienten ist gut gemeint. Doch die ePA bleibt unvollständig und zum 1. Januar 2021 auch noch unvollendet.


Nicht alle Standards werden bis dahin stehen. Das betrifft die so genannten medizinischen Informationsobjekte (MIOs) – das Contentformat aller medizinischen Daten, das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für jeden Fall erst noch mit allen »Stakeholdern« diskutiert werden muss. Zum Beispiel mit den über 200 Softwareherstellern von Praxisverwaltungssystemen. Sie aber brauchen klare Vorgaben, damit sie in ihrer Software Konnektoren zur ePA bereitstellen können.


Immerhin gibt es schon eine Verfahrensordnung, wie man sich auf eine »semantische und syntaktische Interoperabilität« einigen will – zwölf Monate vor dem Start! »Riesige Herausforderung«, schwierige Aufgabe«, »logistische Herausforderung«, »Zeitplan sehr sehr eng«: hört man Thomas Kriedel, Vorstandmitglied KBV, über diese Herkulesaufgabe berichten.


Damit ist noch nicht einmal über eine App mit wirklich sinnvollem Zusatznutzen für den Patienten gesprochen, der sich so für die ePA vielleicht begeistern ließe. Warum bietet man eigentlich keine Payback-Punkte zur ePA-Anmeldung an für die so Loyalitätskarten-Besessenen Deutschen? Sie zum Start für ein rudimentäres System ohne sofort erkennbaren Mehrwert gewinnen zu wollen, ist der falsche Weg in die teuer erkaufte Digitalisierung des Gesundheitswesens.

 

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