Bad New World

Fünf folgenschwere Irrtümer beim E-Learning

4. März 2021, 13:41 Uhr | Martin Fryba
Heureka-Momente wie »Hätten wir doch die Nutzer unserer vor sich hinrottenden E-Learning-Plattform vorab gefragt« müssen nicht sein
© AdobeStock/volurol

Trotz oder gerade wegen der Pandemie gehen Unternehmen digitale Wege des Lernens und Fortbildens. Projektmanager übernehmen das Zepter und stellen einmal mehr fest: kurz nach der Aufbruchstimmung kommt unweigerlich der Frust.

Wie im richten Leben?
Nicht selten hegen Unternehmen beim Umstellen ihrer Trainings- und Personalentwicklungsprogramme auf E-Learning-Formate die Illusion, sie könnten ihre bisherigen Konzepte 1:1 in die digitale Welt übertragen. So denken nicht nur Unternehmen, nach diesem Muster aus der einstweilen suspendierten echten Unterrichtswelt werden seit einem Jahr Millionen Schüler virtuell beschult. Wie viele abgeschnitten ausgedruckte PDFs oder Worddokumente (bei einigen Modellen funktioniert copy&paste von Bilddateien nicht, liebe Lehrer!) aus abfotografieren Arbeitsheftseiten vom Drucker direkt in den Papierkorb wandern, ist nicht bekannt. Schön wär’s, wenn alles digital so klappen würde wie analog. Funktioniert so aber nicht. Tipp: Einfach mal die Präsenzvariante eines Seminars über Bord werfen.

E-Learning könnte man auch einmal als Chance nutzen, um den erforderlichen Veränderungen beim Lernen und Lehren in der modernen Arbeitswelt Gestalt zu geben. Diese beziehen sich nicht nur auf die Qualifizierungskonzepte, Lehrformen und Lernszenarien, sondern auch den zeitlichen und organisatorischen Ablauf. Das würde voraussetzen, die Struktur und Aufbereitung der Lernmaterialien, die Formulierung der Aufgaben sowie die Kommunikation und Betreuung der Lernenden zu überdenken.

Was dabei hilft: Den fest im Cortex verankerten Perfektionismus gedanklich ausschalten und sich anfangs mit kleinen Schritten zufrieden geben. Ein neues E-Learning-Angebot sollte  langsam und bewusst entwickelt sein und stets den aktuell bestehenden Rahmenbedingungen eines Unternehmens oder einer Organisation entsprechen. Meister fallen auch im Cloud-Zeitalter nicht vom Himmel.


Interaktion? Kommt schon ganz von alleine …
Nein, den Gefallen tut sie uns leider nicht. Kluge Köpfe haben es geschafft, dass Menschen weltweit in Echtzeit und zu jeder Zeit miteinander interagieren können. Nie mehr allein also, auch wenn man alleine zuhause vor dem Monitor sitzt? Das grenzenlose Internet hat ganz und gar keine Entgrenzung geschaffen, im Gegenteil! Großbritannien hat bereits ein Einsamkeitsministerium, Japan will eines einführen und Gesundheitsforscher rechnen mit Milliarden Kosten, weil immer mehr vor allem jungen Menschen einsam sind und krank werden.

Digitalarchitekten sind keine Soziologen, Techniker selten Trainer für geistige und körperliche Aktivitäten. Sie stellten »nur« Tools ins Netz. Wer meint, dass Foren, Chats oder Intranets rege genutzt werden müssten, nur weil sie nun einmal da sind, hat von Newtons Trägheitsgesetz noch nie gehört. Wollen  Bildungsverantwortliche oder Trainer ein Mitmach-Web, müssen sie das schon selbst aktiv steuern. Würde es im Robinson Club keine Animateure geben, es wäre in den Urlaubsoasen so öde wie auf besagter Insel, auf der Robinson Crusoe strandete.

Der aktive Kursmoderator muss auch im virtuellen Raum sehr präsent sein. Vor allem zu Beginn einer Web-Sitzung sollen alle Augen auf ihn gerichtet sein und nicht auf das Einhorn vor Waldlichtung, mit dem man sich so schön camouflieren kann.

Das Gebot der Anfangsminuten heißt: Kommunikation ankurbeln - mit eigenen Posts, Fragen, Erfahrungsberichten oder Zusatz-Infos. Das Signal, das bei den Teilnehmenden ankommen muss, ist: »Hier tut sich etwas! Es lohnt sich, hier aktiv zu sein!«

Aufgaben stellen, wie zum Beispiel in Posts Erwartungen und Lernerfahrungen publik zu machen oder dass jeder zu mindestens zwei, drei Einträgen der Kollegen ein Statement abgibt, kann nicht schaden. Den Rest erledigt dann das positive Gefühl, dass jemand den Eintrag wahrnimmt und kommentiert. Nach zwei, drei geplanten Intervention dieser Art laufen die Einträge in den Foren und Chats meist fast wie von selbst.

Das Wir-Gefühl. Oder warum Technik für den Menschen da ist und  nicht umkehrt!
Viele Personalentwickler und Trainer fokussieren sich zurzeit stark auf den technischen Aspekt des Online-Lernens. Verständlich, denn ohne Technik keine virtuelle Kommunikation. Aber: Der Mensch bleibt Mensch, ist immer noch Subjekt und kein Objekt, was man in der fortschreitenden Digitalisierung leicht vergisst. Eine humane Gestaltung der neuen, digitalen Lernwelt sollte ein wichtiges Anliegen sein. Die Verantwortlichen dürfen die Lernenden mit ihren persönlichen Bedürfnissen nicht aus den Augen verlieren, wenn sie wirkungsvolle Lernangebote konzipieren wollen. Das betrifft auch den Auftritt der Trainer oder Kursmoderatoren in den digitalen Lernangeboten. Wie präsent und ansprechbar sind sie auch in den asynchronen Phasen – also wenn die Teilnehmenden nicht zeitgleich online lernen?

Grundsätzlich gilt: Beim Design eines Online-Kurses oder E-Learning-Programms sollte sehr darauf geachtet werden, inwieweit Interaktion und Kollaboration möglich ist.

Ungleichheitsfalle: Bearbeitungszeit ≠ Lernzeit
Zeit ist Geld – diese Maxime gilt meist in unserer Arbeitswelt. Also werden auch Lernzeiten gemessen und Bildungsprozesse diesbezüglich optimiert. Doch das Lernen lässt sich nicht so mechanistisch »vertakten« wie das Zusammenbauen einer Maschine. Es braucht seine Zeit.  Dass die Lernenden bei E-Learning-Programmen zeit- und ortsunabhängig Zugriff auf die Lernmodule und -inhalte haben, verspricht zwar eine höhere Effektivität, doch Vorsicht!

Die Bearbeitungszeit darf nicht mit dem wirklichen Lernen verwechselt werden. Ein Mensch ist keine Maschine. Nur ein humanoides Betriebssystem ist in der Lage, Liebesaffären mit 800 Menschen so perfekt gleichzeitig zu steuern, dass sich jeder einzelne eoinzigartige und exklusiv so geliebt fühlt, wie es Theodore (Joaquin Phoenix) im Science-Fiction-Filmdrama »Her« (2013) anfangs empfindet. Ihm geht erst später ein Licht auf. Lernen bedeutet eben Zeit lassen, nehmen und geben. Lernen braucht Zeit. Es bedarf des Innehaltens und der Reflexion.

Künftig werden sich zwar das Arbeiten und das Lernen in unserem Alltag stärker vermischen, trotzdem sollte man beim Erstellen von digitalen Lern- und Qualifizierungsangeboten darüber nachdenken: Welche Inhalte sind für welche Zeiten am besten geeignet? Alles, was eine tiefe Reflexion und Abstand zum Nachdenken braucht, sollte in Ruhe in den Randzeiten oder außerhalb der (offiziellen) Arbeitszeiten stattfinden.

Generell gilt, was im Höher, Schneller, Weiter unseres Digitalzeitalters in Vergessenheit zu geraten scheint: Lernen braucht Muße! Zeitdruck und Stress sind für alle Lernprozesse kontraproduktiv.

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