Dezentrale Beteiligungsstrategie

Verkauf ohne Abschied

6. Mai 2022, 12:37 Uhr | Stefan Adelmann
Andreas Nau, Geschäftsführer und Mitgründer von Easysoft
© Easysoft

Das eigene Unternehmen verkaufen, die Zügel aus der Hand geben: Viele IT-Gründer stehen im Laufe ihrer Karriere vor der Frage, wie es mit der Firma weitergehen soll. Die beiden Software anbieter Easysoft und Ergovia sind zusammen mit Investor TSS einen ganz individuellen Zwischenweg gegangen.

Nahendes Rentenalter, fehlende Fachkräfte oder schlicht zu wenige Ressourcen, um den Betrieb weiter erfolgreich skalieren zu können: Viele Gründer kommen im Laufe ihrer Karriere an einen Punkt, an dem sie sich unausweichlich die Frage stellen oder stellen müssen, wie es mit dem eigenen, oftmals mit viel Herzblut aufgebauten Unternehmen weitergehen soll. Immerhin lasten besonders in einem so hochfrequenten Markt wie der IT ein enormer Druck sowie Anforderungen auf den Entrepreneuren, die nicht jeder bis ins hohe Alter stemmen kann und will. Eine mögliche Antwort: Verkauf. 

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Viele Angebote

Die Suche nach einem Interessenten dürfte aktuell nicht allzu schwer fallen. Vor allem in der IT sind in den vergangenen Jahren die Akquisitionszahlen rapide gestiegen, Anbieter jeglicher Couleur sind gefragte Übernahmekandidaten. Das bestätigt auch Andreas Nau, Mitgründer des auf Bildungsmanagement- und Personalentwicklung spezialisierten Softwarehauses Easysoft. Bereits 2012 kamen erste ernsthafte Anfragen, „und je größer wir wurden, umso interessanter wurden wir auch“, so Nau im Gespräch mit ICT CHANNEL. Jens Buchloh, Gründer des Bildungssoftware-anbieters Ergovia, berichtet ebenfalls von einer beachtlichen Angebotsfrequenz. „Wir haben aber zu diesem Zeitpunkt nicht gesucht und Anfragen lange Zeit einfach weggeworfen.“

„Und wenn ich doch verkaufe?“

Dabei ist der wohlüberlegte Unternehmensverkauf für Gründer alles andere als unattraktiv. Plötzlich den Kopf wieder freizuhaben, der eigenen Leidenschaft frönen zu können oder gar ein ganz neues Unternehmen aufzubauen – und das bei meist guter Entlohnung. Nau und Buchloh zeigten den Avancen dennoch lange Zeit die kalte Schulter, wollten ihre Softwareanbieter lieber aus eigener Kraft und in Eigenregie voranbringen, als die Zügel einfach aus der Hand zu geben. Bis zum Angebot der Total Specific Solutions (TSS). Der niederländische Investor verfolgt eine dezentrale Strategie, will zahlreiche Spezialsoftware-Anbieter mit Fokus auf vertikale Märkte unter einem Dach vereinen. Mehr als 110 Unternehmen sind es bereits, jedes mit eigenem Schwerpunkt, eigenen Zielgruppen und insgesamt 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Unterschied zu vielen anderen Investoren: TSS will die bestehenden Marken laut Nau und Buchloh aufbauen, fördern und die Gründer bleiben zudem als Geschäftsführer an Bord. 
„Und plötzlich stellt man sich die Frage: Was ist, wenn ich doch verkaufe?“, blickt Buchloh zurück. Gründe für diesen Schritt gab es durchaus. So stand Ergovia 2018 zwar wirtschaftlich gut da, das Business sei kulturell aber auf der Stelle getreten, das Unternehmen „im eigenen Saft geschmort“. Selbst ein externer Consultant konnte nicht für neuen Schwung sorgen, berichtet der Gründer. Er habe schlicht den Zielmarkt des Anbieters nicht verstanden. Aber das Erreichte trotz dieser Herausforderungen einfach veräußern? Auch für Andreas Nau zuerst keine Option. Wachstum sei wichtig, aber eine aufoktroyierte, oft ausschließlich zahlengetriebene Strategie wäre für das eigene Unternehmen, „das immer noch das eigene Kind ist“, nicht denkbar. Ein Partner müsse stattdessen die jeweiligen Märkte verstehen, die Kultur und die Mitarbeiter – die jeweilige Strategie und auch die Gründer nach der Übernahme „nicht einfach wie den Müll vor die Tür stellen“.  

Entscheidende Vorteile

Das Angebot der TSS war aber anders, weckte schnell das Interesse der Gründer. Selbst wenn unter dem Strich im Vergleich nicht die größte Summe stand, hat es entscheidende Vorteile gegeben: Zum einen das dezentrale Ökosystem des Investors, zum anderen die Möglichkeit, als Geschäftsführer weiter mitgestalten zu können. Nau ließ sich dennoch viel Zeit für die Entscheidung, er wollte vor allem auch das Team hinter sich wissen und nichts über das Knie brechen. Nachdem er aber recherchierte, mit anderen Geschäftsführern aus dem TSS-Ökosystem sprach und erfuhr, dass der Investor keines der bisher gekauften Unternehmen später wieder verkauft hatte, stand die Entscheidung fest – und sowohl Nau als auch Buchloh haben sie bis heute nicht bereut. „Wir legen sehr viel Wert auf Kultur“, unterstreicht der Ergovia-Gründer. „Das ist eine Mission, wir träumen von etwas, wir stehen für etwas.“ Hätte ein Investor diese Ausrichtung nicht geteilt oder gar mit Nachdruck verändern wollen, „ich hätte mir Vorwürfe gemacht.“


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