»Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union«

Wie Grundrechte im digitalen Zeitalter zu schützen sind

21. Dezember 2016, 13:09 Uhr | Peter Tischer

Eine neu veröffentlichte Charta will die Grundrechte der Menschen im digitalen Zeitalter schützen. Doch Juristen wie Christian Solmecke kritisieren unklare Formulierungen sowie realitätsferne Forderungen und plädieren für andere Lösungen.

In Zeiten der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung von Kommunikation, Gesellschaft und Politik sind Bürgerrechte ständigen Gefahren ausgesetzt. Jetzt haben die Zeit-Stiftung sowie zahlreiche bekannte Personen aus Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft eine »Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union« erarbeitet und dem Europäischen Parlament sowie der Öffentlichkeit vorgelegt. Die Initiatoren wollen damit eine Diskussion über die Zukunft der digitalen Gesellschaft anstoßen und machen ihre Sorge um Massenverarbeitung von Nutzerdaten, unkontrollierbare künstliche Intelligenz und anderen Risiken der Digitalisierung deutlich. Doch geht es nach Medien-Anwalt Christian Solmecke von der Kölner Kanzlei WBS, bleibt aus juristischer Sicht fraglich, ob spezielle digitale Grundrechte überhaupt nötig und zielführend sind.

Der Anwalt bezweifelt, dass der vorgestellte Entwurfstext überhaupt geeignet ist, »um die digitale Kommunikation privater Personen, das geschäftliche Handeln von national und global agierenden Unternehmen, die Massenüberwachung, Big Data oder die Erhebung und Auswertung per­sonenbezogener Daten in einen juristischen Kontext einzuordnen.« Denn laut Solmecke gewährleisten bereits das Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta sowie die Europäische Menschenrechtskonvention den Schutz von Persönlichkeitsrechten, den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Recht auf informelle Selbstbestimmung. »Grundrechte haben keinen begrenzten Anwendungsbereich — sie gelten online wie offline«, erklärt er.

Unklare Formu­lierungen

Zudem kritisiert Solmecke, dass die Charta Forderungen sowohl gegenüber staatlichen Stellen als auch gegenüber Privatleuten formuliert. Dagegen waren bis dato Grundrechte immer Abwehrrechte von Privatpersonen gegenüber dem Staat und sollten die stärkere Position staatlicher Stellen gegenüber dem Bürger ausgleichen. Im Text der nun veröffentlichten Charta sollen nun auch Private grundrechtsverpflichtet sein, obwohl diese sich im Konfliktfall auf Augenhöhe begegnen. Für den Anwalt ist es nur schwer vorstellbar, »wie sich diese Vermengung von Rechten und Pflichten sinnvoll miteinander verbinden lassen soll«. Laut Solmecke ermöglicht hier das Zivilrecht schon jetzt einen ausreichenden Interessensausgleich.

Gleichzeitig stößt sich der Kölner Anwalt wie viele Juristen an unklaren Formulierungen innerhalb der Charta, vor allem im wichtigen Artikel 5 des Entwurfs­papiers. Während im ersten Absatz noch das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne Zensur betont wird, wird in Absatz zwei die »Verhinderungspflicht« bei digitaler Hetze, Mobbing und rufschädigenden Aktivitäten gefordert. Dabei sind alle drei Beispiele nicht klar definiert und im Einzelfall können Grenzen nur im Kontext gezogen werden. »Es mag – vor allem vor dem Hintergrund der Entwicklung von Kommunikation in sozialen Netzwerken – sinnvoll klingen, dass plakative Begriffe in gesetzliche Form gegossen werden, doch rechtlich ist es mehr als fragwürdig und im Ergebnis nicht nötig«, erklärt Solmecke. Schon heute könnten beleidigende, verletzende oder rufschädigende Äußerungen per Gesetz bestraft werden.


  1. Wie Grundrechte im digitalen Zeitalter zu schützen sind
  2. »Verhinderung« ist Zensur

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